EiÜ 33/24
Rechtsberatungsverbot in Sanktionsverordnung rechtmäßig – EuG
Das Rechtsberatungsverbot russischer Unternehmen und Einrichtungen im achten Sanktionspaket ist rechtmäßig. Das befand das Europäische Gericht (EuGH) am 2. Oktober 2024 in den Klagen einiger Anwaltskammern u.a. (Rs. T 797/22, T-798/22 und T-828/22). Hintergrund der Entscheidung ist das im Rahmen der Sanktionen gegen Russland angesichts der Situation in der Ukraine erlassene achte Sanktionspaket des Rats der EU vom Oktober 2022. Dieses sieht in Art. 5n Abs. 2 der durch Verordnung 2022/1904 geänderten Verordnung 833/2014 das grundsätzliche Verbot der Rechtsberatung der russischen Regierung und in Russland ansässiger Unternehmen und Einrichtungen vor. Dieses Verbot gilt nicht für die Vertretung vor Gerichten oder Behörden. Die klagenden Kammern machten u.a. geltend, dass das Verbot in das Recht auf Zugang zu Rechtsberatung sowie in das anwaltliche Berufsgeheimnis und die Unabhängigkeit des Rechtsanwalts eingreife. Außerdem sei es unverhältnismäßig und zu unklar. All diese Argumente verwarf nun das Gericht. Der DAV äußerte sich in einer ersten Reaktion enttäuscht. Rechtsberatung und -vertretung sind häufig untrennbar. Dass die Sanktionen hier differenzieren führt in der Praxis aktuell dazu, dass Rechtsanwält:innen ein Mandat eher ablehnen. Dies greift in den Zugang der Unternehmen zum Recht ein (vgl. PM 49/24). Den Klägern steht der Rechtsweg zum EuGH offen.
Zeitplan für Anhörungen der Kommissar:innen – EP
Die Anhörungen für die designierten Mitglieder der neuen EU-Kommission werden zwischen dem 4. und dem 12. November 2024 stattfinden. Darauf einigte sich die Präsidentenkonferenz des EU-Parlaments Mitte dieser Woche. Die Kandiat:innen werden dabei entweder von einem einzigen Ausschuss oder in einer gemeinsamen Sitzung mehrerer Ausschüsse des EU-Parlaments angehört, wenn das entsprechende Portfolio mehrere Zuständigkeiten betrifft - zu den durch Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vorgestellten Kandidat:innen siehe EiÜ 31/24. In der vorgeschlagenen Zuständigkeitsverteilung für die Anhörungen sollen mehrere designierte Kommissare von mehr als zwei Ausschüssen überprüft werden. Nach den Anhörungen wird Ursula von der Leyen das College of Commissioners und das Arbeitsprogramm der EU-Kommission im Plenum vorstellen - die EU-Kommission benötigt die Zustimmung des Parlaments mit einfacher Mehrheit. Anschließend wird die Kommission vom Europäischen Rat mit qualifizierter Mehrheit formell ernannt. Frühestmöglicher Amtsantritt der neuen Kommission ist der 1. Dezember 2024. Die genauen Termine für die einzelnen Anhörungen werden in der nächsten Sitzung der Präsidentenkonferenz bestimmt.
Afghanische Frauen unter Taliban-Regime „verfolgt“ – EuGH
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in seinem Urteil vom 4. Oktober 2024 (Rs. C‑608/22) die Prüfungsvoraussetzungen von Asylanträgen afghanischer Frauen konkretisiert (vgl. PM). Zwei afghanische Frauen wandten sich vor dem österreichischen Verwaltungsgerichtshof gegen die Weigerung der Behörden, ihnen den Flüchtlingsstatus zuzuerkennen. Der Verwaltungsgerichtshof sieht in der seit 2021 andauernden Herrschaft der Taliban schwerwiegende Auswirkungen auf die Grundrechte von Frauen. Er legte das Verfahren daher dem EuGH mit der Frage vor, ob die diskriminierenden Maßnahmen in ihrer Gesamtheit als Verfolgungshandlungen i.S.d. Qualifikationsrichtlinie (RL 2011/95/EU) eingestuft werden können. Der EuGH stellt fest, dass einige der Maßnahmen des Taliban-Regimes (etwa Zwangsverheiratung oder fehlender Schutz vor häuslicher Gewalt) für sich genommen schon als „Verfolgung“ einzustufen seien, da sie eine schwerwiegende Verletzung eines Grundrechts bzw. der EMRK darstellen. Auch Maßnahmen, die isoliert noch keine „Verfolgung“ darstellen, führen in ihrer kumulativen Wirkung und systematischen Anwendung dazu, dass mit der Menschenwürde verbundene Grundrechte vorenthalten werden. Es ist daher für eine Behörde nicht erforderlich festzustellen, ob einer afghanischen Frau bei einer Rückkehr in ihr Herkunftsland konkret-spezifische Verfolgungshandlungen drohen. Die Berücksichtigung ihrer Staatsangehörigkeit und ihres Geschlechts bei der individuellen Prüfung des Asylantrags genügen.
EU-Kommission veröffentlicht Digital Fairness Fitness Check – KOM
Am 3. Oktober 2024 veröffentlichte die EU-Kommission den Digital Fairness Fitness Check, eine umfassende Analyse zur Bewertung der Wirksamkeit bestimmter EU-Rechtsvorschriften. Der Fitness-Check bietet einen Überblick über den aktuellen Stand des EU-Verbraucherschutzrechts und identifiziert Bereiche mit Verbesserungsbedarf, enthält jedoch keine konkreten Handlungsempfehlungen. Einer genaueren Betrachtung unterzogen wurden dabei die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken, die Verbraucherrechte-Richtlinie und die Richtlinie über missbräuchliche Vertragsklauseln. Zur Grundlage der nun veröffentlichten Ergebnisse führte die Kommission eine gezielte Konsultation durch und gab eine Studie in Auftrag, deren ausführliche Abschlussberichte nun ebenfalls veröffentlicht wurden. In ihrem Bericht hebt sie hervor, dass die bestehenden Gesetze nach wie vor entscheidend für den Schutz der Verbraucher:innen im Internet sind. Gleichzeitig werden neue Herausforderungen angesprochen, darunter manipulative Online-Designs, auch bekannt als „Dark Patterns“. Besonders kritisch betrachtet werden süchtig machende Praktiken von digitalen Diensten, wie etwa Endlos-Scrolling und Autoplay sowie gezielte Werbung. Um diesen Herausforderungen zu begegnen, plant die Kommission, die Vorschriften zu optimieren und die Durchsetzung zu erleichtern.
Zuständigkeitsänderungen zur EuGH-Reform treten in Kraft – EuGH
Am 1. Oktober 2024 haben die Regelungen zur Übertragung der Zuständigkeit in Vorabentscheidungsverfahren vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) auf das Gericht erster Instanz, zur Entlastung des Gerichtshofs, Geltung erlangt (PM). Die Anfang des Jahres beschlossenen Änderungen des Protokolls Nr. 3 über die Satzung des Gerichtshofs der EU sehen vor, dass weiterhin alle Vorabentscheidungsersuchen beim Gerichtshof einzureichen sind, woraufhin dieser eine Vorprüfung nach Sachgebieten vornimmt (vgl. bereits EiÜ 8/24). Fällt ein Sachgebiet unter den neu geschaffenen Artikel 50b I der Satzung (z.B. Verbrauchsteuern oder Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fahr- und Fluggäste), geht die Zuständigkeit auf das Gericht über. Das Gericht behandelt dieses Vorabentscheidungsersuchen dann in der gleichen Weise und nach denselben Verfahrensregeln wie der EuGH. Entscheidungen des Gerichts haben somit dieselbe Wirkung wie Entscheidungen des Gerichtshofs. Eine Überprüfung dieser Entscheidungen ist nur in Ausnahmefällen vorgesehen, wenn dadurch die Einheit oder Kohärenz des Unionsrechts berührt wird. Dies muss jedoch innerhalb eines Monats nach der Entscheidung durch den Ersten Generalanwalt vorgeschlagen werden. Der EuGH hat seine Empfehlungen an die nationalen Gerichte zu Vorlagefragen entsprechend aktualisiert.
KI-Verordnung: Entwicklung eines allgemeinen KI-Verhaltenskodex – KOM
Die EU-Kommission gab am 30. September 2024 bekannt, dass die Auftaktsitzung zur Planung und Entwicklung eines Verhaltenskodex für generative künstliche Intelligenz (KI) stattgefunden hat (vgl. PM). Berechtigte Interessenträger konnten sich bis zum 25. August 2024 über einen Interessensaufruf für die Plenarsitzung beim Europäischen Amt für KI anmelden. Die Sitzung fand online mit fast 1.000 Teilnehmer:innen statt. Das Europäische Amt für KI ist im Rahmen der Umsetzung der KI-Verordnung mit dem Prozess zur Ausarbeitung des ersten Verhaltenskodex für generative KI-Modelle zu allgemeinen Zwecken betraut. Dieser Verhaltenskodex soll die Anwendung der Bestimmungen der Verordnung auf solche Modelle erleichtern und unter anderem Transparenz- und Urheberrechtsbestimmungen sowie Maßnahmen zur Risikobewertung und -minderung enthalten. Das weitere Verfahren wird nun auf vier Arbeitsgruppen unter der Leitung von unabhängigen Expert:innen aufgeteilt (vgl. PM). Eine endgültige Fassung des Verhaltenskodex wird voraussichtlich im April 2025 veröffentlicht und in einer Abschlusssitzung vorgestellt. Rechtzeitig, bevor die Bestimmungen der KI-Verordnung zu generativen KI-Modellen mit allgemeinem Verwendungszweck ab August 2025 anwendbar sein werden.
Polizei darf Mobiltelefon auch bei leichten Straftaten durchsuchen – EuGH
Der Europäischen Gerichtshof (EuGH) hat in der Rechtssache C-548/21 am 4. Oktober 2024 klargestellt, dass der Zugriff der Polizei auf Mobiltelefone nicht ausschließlich für die Verfolgung schwerer Straftaten vorgesehen ist, da sich andernfalls hieraus eine erhöhte Gefahr der Straflosigkeit von Straftaten ergeben würde (PM). Die weitreichende Befugnis muss jedoch strenge rechtliche Vorgaben einhalten, insbesondere eine vorherige richterliche oder unabhängige behördliche Genehmigung. Das Urteil betrifft einen Fall aus Österreich, bei dem die Polizei versuchte, ohne eine solche Genehmigung das Mobiltelefon eines Verdächtigen zu entsperren. Dies geschah im Rahmen einer Drogenuntersuchung, in der der Verdächtige mit einer Straftat konfrontiert war, die eine Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr nach sich ziehen könnte – also ein Vergehen darstellte. Der EuGH betonte, dass selbst der Versuch des Zugriffs auf die personenbezogenen Daten auf einem Mobiltelefon unter die Vorschriften der JI-Datenschutzrichtlinie (EU) 2016/680 fallen muss, die den Schutz personenbezogener Daten bei der Verhütung und Verfolgung von Straftaten regelt. Die österreichische Polizei hatte gegen diese Richtlinie verstoßen, indem sie weder die erforderliche Genehmigung einholte noch den Verdächtigen über die versuchten Zugriffe informierte.
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