Europa im Überblick, 34/17

Einführung einer gewerblichen Produktgarantie auf Lebenszeit? – EP

In der Sitzung des Ausschusses Binnenmarkt und Verbraucherschutz (IMCO) des EU-Parlaments wurde am 28. September 2017 eine Studie über die Einführung einer gewerblichen Garantie über die gesamte Lebensdauer eines Produkts vorgestellt. Die Studie enthält ein Modell, das zunächst durch Änderungen am Richtlinienvorschlag zum Online-Warenhandel COM(2015) 635 eingeführt werden könnte. Es soll hierzu eine obligatorische Verlängerung der Gewährleistungsfrist auf drei Jahre geben. Bei Produkten mit einer erwarteten Lebensspanne von mehr als drei Jahren sollen die Mitgliedstaaten fakultativ eine Gewährleistungsfrist von bis zu fünf Jahren vorsehen können. Außerdem könnte zusätzlich zu der bisher bekannten gewerblichen Garantie und der Gewährleistungsfrist eine gewerbliche Lebensspannengarantie eingeführt werden. Die Regeln sollen prinzipiell gleichermaßen für den Offline- und Online-Handel gelten. Offen ist, ob die Erteilung der Lebensspannengarantie durch den Hersteller oder Verkäufer verpflichtend sein wird. Darüber hinaus müssten in der Ökodesign-RL 2009/125/EG die Lebensdauer eines Produkts definiert und in der Verbraucherrechte-RL 2011/83/EU die Informationspflichten des Unternehmers über die Lebensspanne des Produkts eingeführt werden. Ob der IMCO-Ausschuss den Empfehlungen dieser Studie folgt, wird sich bei der Abstimmung über den Berichtsentwurf zum Online-Warenhandel am 21./22. November 2017 zeigen.

Regelungen zum Schutz von Whistleblowern – EP

Am 2. Oktober 2017 hat der Rechtsausschuss (JURI) des Europäischen Parlaments den Initiativberichtsentwurf von Berichterstatterin Virginie Rozière (S&D) über legitime Maßnahmen zum Schutz von Informanten, die aus Gründen des öffentlichen Interesses vertrauliche Informationen über Unternehmen und öffentliche Einrichtungen offenlegen (s. hierzu EiÜ 25/17), mit Änderungen angenommen. Der Initiativbericht fordert die Kommission zu einem horizontalen Gesetzgebungsvorschlag auf. Es sollen u.a. zentrale unabhängige Meldestellen –  sowohl in den Mitgliedsstaaten als auch auf EU-Ebene - geschaffen werden, die die Glaubwürdigkeit von Reporten prüft. Außerdem soll der Schutz des Whistleblowers vor Repressalien durch den Arbeitgeber verstärkt werden und ihm ermöglicht werden, anonym zu berichten. Der Schutz für den Whistleblower soll auch bei falschen Meldungen aufrechterhalten werden, sofern zum Zeitpunkt der Meldung stichhaltige Gründe dafür vorlagen, an die Richtigkeit der Behauptung zu glauben. Nun muss das Plenum des Europäischen Parlaments über den Initiativbericht abstimmen. Legt die EU-Kommission danach keinen Gesetzgebungsvorschlag vor, muss sie dies begründen. Die EU-Kommission hatte hierzu in Vorbereitung eines möglichen Gesetzgebungsvorschlags bereits im Februar 2017 eine öffentliche Konsultation durchgeführt.

Neuer Anlauf für Reform der Mehrwertsteuer – KOM

Die EU-Kommission hat am 4. Oktober 2017 den ersten Teil eines weitreichenden Gesetzgebungspaketes zur Reform der Mehrwertsteuer vorgelegt (s. Pressemitteilung). Hierzu wurde eine Mitteilung „Follow-up zum Aktionsplan im Bereich der Mehrwertsteuer“ veröffentlicht, in der über bereits ergriffene Maßnahmen berichtet wird sowie die in den nächsten Monaten geplanten Maßnahmen dargestellt werden. Mit dem nun vorgelegten Richtlinienvorschlag COM(2017) 569 zur Änderung der Mehrwertsteuer-RL 2006/112/EG bezweckt die Kommission, das derzeitige vorübergehende Mehrwertsteuersystem grundlegend zu verändern und betrugssicherer zu machen. Hierzu soll ein endgültiges Mehrwertsteuersystem für den grenzüberschreitenden Handel innerhalb der EU geschaffen werden, das auf dem Prinzip der Besteuerung im Bestimmungsmitgliedstaat beruht. Außerdem wird der Begriff „zertifizierter Steuerpflichtiger“ eingeführt. Darunter werden vertrauenswürdige Unternehmen verstanden, die von einfacheren und zeitsparenden Vorschriften profitieren sollen. Der zweite Teil des Pakets mit weiteren technischen Bestimmungen zur Umsetzung der Mehrwertsteuerreform wird Anfang 2018 veröffentlicht werden. Die Legislativvorschläge müssen im Rat einstimmig angenommen werden.

Die EMRK gilt auch am Grenzzaun – EGMR

Die von Spanien in seiner nordafrikanischen Exklave Melilla teilweise praktizierten Kollektivabschiebungen verstoßen gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK). Das entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in seinem Urteil vom 3. Oktober 2017 (Beschwerdenr. 8675/15). Geklagt haben zwei Männer aus Mali bzw. der Elfenbeinküste, die im August 2014 zusammen mit anderen Migranten über die Grenzzäune geklettert waren. Hierbei wurden sie direkt von der spanischen Polizei festgenommen und unmittelbar über die Grenze nach Marokko zurückgeführt. Dabei haben die spanischen Behörden nach Feststellungen des EGMR weder die Identität der Kläger vor der Rückführung überprüft noch diesen die Möglichkeit gegeben, einen Rechtsbeistand aufzusuchen, um eine wirksame Rechtsbeschwerde gegen die Maßnahme einlegen zu können. Mit diesem Vorgehen verstoße die spanische Regierung gegen das Verbot der Kollektivausweisung nach Art. 4 des Vierten Zusatzprotokolls der EMRK sowie gegen das Recht auf wirksame Beschwerde aus Art 13 EMRK, so der EGMR. Dass die Grenzzäune noch außerhalb der Exklave stehen, sei hierbei irrelevant, da die spanische Polizei in dem Grenzgebiet de facto die Kontrolle gehabt habe. Daher müsse auch die EMRK eingehalten werden. Mit diesem Urteil werden die Staaten daran erinnert, dass auch flüchtende und migrierende Menschen einen rechtlichen Mindestschutz genießen.

Vergaberecht soll effizienter werden – KOM

Die EU-Kommission hat am 3. Oktober 2017 eine neue Strategie für die Verbesserung des Vergaberechts veröffentlicht (s. Pressemitteilung; s. bereits EiÜ 32/17). In der Mitteilung „Eine funktionierende öffentliche Auftragsvergabe in und für Europa“ werden Vorschläge gemacht, um die Auftragsvergabe effizienter und nachhaltiger zu gestalten. So sollen die Behörden bei der Auftragsvergabe nicht nur den niedrigsten Preis, sondern auch verstärkt qualitative Kriterien oder nachhaltige bzw. sozial-integrative Kriterien berücksichtigen. Außerdem soll die Digitalisierung der Vergabe öffentlicher Aufträge gestärkt werden. Vor diesem Hintergrund läuft bis zum 2. Januar 2018 auch eine öffentliche Konsultation über einen Leitfaden für eine innovationsfördernde öffentliche Auftragsvergabe. Darüber hinaus empfiehlt die EU-Kommission den Mitgliedstaaten, Maßnahmen zu ergreifen, damit die Mitarbeiter der öffentlichen Käufer bestmöglich über den Ablauf von Vergabeverfahren geschult sind. Demnächst sollen die Mitgliedstaaten auch die Möglichkeit haben, bei der EU-Kommission eine freiwillige ex-ante-Bewertung großer Infrastrukturvorhaben vornehmen zu lassen. Hierdurch soll beurteilt werden, ob ein Vorhaben mit dem Rechtsrahmen der EU vereinbar ist.

Transparenz und Beachtung von Arbeitnehmerrechten im vorinsolvenzlichen Verfahren – EP

Im Rechtsausschuss (JURI) des Europäischen Parlaments hat Berichterstatterin Angelika Niebler (EVP) ihren Berichtsentwurf zum Richtlinienvorschlag für präventive Restrukturierungsrahmen, zur zweiten Chance und zu Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren (s. EiÜ 26/17, 9/17 und 38/16) vorgelegt. Niebler setzt sich darin für eine größtmögliche Transparenz während des präventiven Restrukturierungsverfahrens ein und fordert entsprechende Informationsrechte für die Arbeitnehmer. Zudem schlägt sie eine Definition vor, wann eine Insolvenz im Sinne des Artikels 1 Abs. 1 des Richtlinienvorschlags droht und möchte es den Mitgliedstaaten überlassen, ob die Ernennung eines Restrukturierungsverwalters für das Verfahren verpflichtend sein soll. Zudem sollen – wie vom DAV in seiner Stellungnahme 17/2017 gefordert – die Mitgliedstaaten entscheiden können, die Stellungnahme zur Rentabilität des betroffenen Unternehmens im Rahmen des zu erstellenden Restrukturierungsplans von einem unabhängigen Experten erstellen zu lassen. Ebenso soll im Falle eines klassenübergreifenden Cramdowns die Mehrheit der Gläubigergruppen für die Zustimmung zum Restrukturierungsplan erforderlich sein. Die Frist für Änderungsanträge im Rechtsausschuss läuft bis zum 7. November 2017.

Bekämpft die Europäische Staatsanwaltschaft künftig auch Terrorstraftaten? – EP

In der Plenarsitzung vom 5. Oktober 2017 stimmte das Europäische Parlament erwartungsgemäß mit seiner Entschließung der Errichtung einer Europäischen Staatsanwaltschaft (s. Pressemitteilung, EiÜ 33/17, 23/17 11/17,) zu (456 Zustimmungen bei 115 Gegenstimmen und 60 Enthaltungen). Die Verordnung, an der im Rahmen der verstärkten Zusammenarbeit bislang 20 Mitgliedstaaten teilnehmen, kann nun am 12. Oktober 2017 durch den Rat förmlich angenommen werden. Im Rahmen der Aussprache im Plenum begrüßten Abgeordnete der EVP- und S&D-Fraktionen den Vorschlag des Kommissionspräsidenten Juncker sowie des französischen Präsidenten Macron, die Zuständigkeit der Europäischen Staatsanwaltschaft auf grenzüberschreitende terroristische Straftaten auszuweiten. Justizkommissarin Jourová und Haushaltskommissar Oettinger kündigten in einer gemeinsamen Erklärung die nächsten Schritte in Richtung eines entsprechenden Vorschlags für das kommende Jahr an.

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