Europa im Überblick, 34/2022

EiÜ 34/2022

Anwälte als „Enabler“: DAV kritisiert tendenziöse Befragung – DAV/KOM

Strafrechtlich sanktionierte Steuerhinterziehung und die legale Beratung von Mandant:innen im Rahmen der Gesetze müssen strikt getrennt werden. Der DAV kritisiert in seiner Antwort auf die öffentliche Konsultation zu einer möglichen Richtlinie zum Vorgehen gegen Vermittler von Steuerhinterziehung und aggressiver Steuerplanung die tendenziöse Befragung durch die EU-Kommission (vgl. bereits EiÜ 26/22). Der DAV lehnt die geplante Richtlinie grundsätzlich ab, da die Anwaltschaft unter Generalverdacht gestellt würde. Die Kommission sollte vielmehr die Mitgliedstaaten auffordern, ihre Steuergesetze präziser und weniger lückenreich auszugestalten. Der „Geist des Gesetzes“, von der EU-Kommission explizit genannt, darf kein Grund für Regulierung von Anwälten als „Enabler aggressiver Steurgestaltung“ sein; es zählen rechtsverbindliche und -sichere Vorgaben. Ein Richtlinienvorschlag könnte in der ersten Jahreshälfte 2023 veröffentlicht werden.

Nächste Hürde geschafft beim EU-US-Datenschutzabkommen – KOM

Nachdem sich die EU-Kommission und die USA im März 2022 durch eine gemeinsame Stellungnahme auf ein neues Datenschutzabkommen geeinigt hatten (vgl. EiÜ 12/22), hat US-Präsident Biden am 7. Oktober 2022 eine Exekutivverordnung (in Englisch) unterzeichnet, die das Abkommen in nationales Recht umsetzen wird. Das neue Abkommen wurde notwendig, nachdem der EuGH in der Rechtssache Schrems II (Rs. C-311/18) das vorherige EU-US-Abkommen für unionsrechtswidrig erklärt hatte (vgl. EiÜ 27/20). Damit werden neue verbindliche Garantien eingeführt, um alle vom Gerichtshof der EU angesprochenen Punkte zu berücksichtigen, den Zugang der US-Nachrichtendienste zu EU-Daten einzuschränken und ein Datenschutzprüfungsgericht einzurichten. Im nächsten Schritt muss die EU-Kommission nun ihrerseits das Abkommen umsetzen, indem sie einen sogenannten Angemessenheitsbeschluss erlässt. Dies kann erst geschehen, wenn der Europäische Datenschutzausschuss zugestimmt hat (vgl. Fragen & Antworten auf der Website der Kommission, in Englisch). Durch die inhaltliche Beschränkung des Zugriffs der nationalen Sicherheitsbehörden der USA auf Daten (Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit) als auch die Einrichtung des neuen Rechtsbehelfsmechanismus ist sich die EU-Kommission sicher, dass das neue EU-US-Datenschutzabkommen vor dem EuGH bestehen würde.

Durchsetzung von EU-Recht erfordert gemeinsame Anstrengungen – KOM

In einer Mitteilung (in Englisch) hat die Kommission am 13. Oktober 2022 deutlich gemacht, dass die Durchsetzung des EU-Rechts andauernde Anstrengungen der Kommission und der Mitgliedstaaten erfordere, um eine kohärente und wirksame Anwendung der EU-Vorschriften zu gewährleisten sowie potenziellen Problemen vorzubeugen. Das Prinzip der Gleichheit vor den Verträgen gewährleiste, dass europäische Vorschriften in allen Mitgliedstaaten die gleiche Bedeutung und Anwendung genießen sollten. Dafür müsse die Einhaltung gesichert und Verstößen entgegengewirkt werden. Dies könne nur mit Hilfe nationaler Gerichte und Parlamente und anderen Akteuren der Zivilgesellschaft geschehen. Insbesondere möchte die EU-Kommission verstärkt die ordnungsgemäße Anwendung von Verordnungen gewährleisten, nicht zuletzt, weil Verordnungen trotz ihrer unmittelbaren Wirkung manchmal auch Änderungen des nationalen Rechts erfordern. Durch eine Bestandsaufnahme möchte die EU-Kommission die Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten weiter verbessern. Dank der Initiative „EU-Pilot“ werde es ermöglicht, viele Streitigkeiten bereits in der vorgerichtlichen Phase ohne die formale Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens zu lösen. Über die Ergebnisse der Bestandsaufnahme sowie mögliche Maßnahmen zur Erhöhung der Transparenz bei der Überwachung der Anwendung des EU-Rechts werde die Kommission im Laufe des Jahres 2023 berichten.

Fortschritte bei geplanter Richtlinie über Umweltstraftaten – Rat

Im Rahmen des Rats „Justiz und Inneres“ kamen die Justizminister der Mitgliedsstaaten am 13. Oktober 2022 zusammen, um die Fortschritte im Gesetzgebungsverfahren bezüglich des Richtlinienvorschlags über den strafrechtlichen Schutz der Umwelt (vgl. EiÜ 2/22) zu bewerten. Die Minister diskutierten auf der Grundlage einer partiellen allgemeinen Ausrichtung vom 30. Mai 2022 und eines Fortschrittberichts vom 30. September 2022. Eine große Mehrheit konnte sich darauf einigen, dass die Mindesthöchstrafen für natürliche Personen bei schweren und weniger schweren Straftaten auf fünf bzw. drei Jahre festgesetzt werden soll. Andere Aspekte im Zusammenhang mit Sanktionen, einschließlich des Höchstmaßes der Strafen für juristische Personen, bleiben offen. In Stellungnahme Nr. 52/2022 hat sich der DAV kritisch zu dem Richtlinienvorschlag geäußert und u.a. die Einführung des Produktstrafrechts und strafrechtlicher Popularklagen kritisiert (vgl. DAV-Depesche 39/22). Die tschechische Ratspräsidentschaft hatte in ihrem Sechs-Monats-Programm angekündigt, bis Ende des Jahres eine Allgemeine Ausrichtung erreichen zu wollen (vgl. EiÜ 26/22). Geplant ist nun, diese auf der Tagung des Rats „Justiz und Inneres“ am 8./9. Dezember 2022 vorzulegen.

Prüm II: Datenaustausch (nicht voll-)automatisiert – EP

Im Ausschuss für Bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE) des EU-Parlaments wurde am 10. Oktober 2022 der Berichtsentwurf (in Englisch) zum Verordnungsentwurf über den automatisierten Datenaustausch für die polizeiliche Zusammenarbeit (PRÜM II) vorgestellt. Mit der Verordnung soll ein Router eingerichtet werden, um Mitgliedstaaten und Europol den Abruf sowie das Scoring von Daten zu ermöglichen (vgl. EiÜ 40/21). Die von nationalen Datenbanken erfassten Daten betreffen DNA, Fingerabdrücke, Gesichtsbilder und Kriminalakten. Berichterstatter Paulo Rangel betonte, der Anwendungsbereich soll auf Personen, die einer Straftat verdächtigt oder verurteilt sind, eingegrenzt werden. Berücksichtigt wurde die Stellungnahme des Datenschutzbeauftragten (in Englisch), welcher die Datenabfrage bei jeglichen Straftaten nach dem Kommissionsvorschlag ablehnt und die Beschränkung auf schwerwiegende Verbrechen fordert. Weiterhin soll die Datenfreigabe nicht vollständig automatisiert sein, sondern einer manuellen Entscheidung und einer Anonymisierung unterliegen. Um Missbrauch vorzubeugen, muss die Kontrolle durch Aufsichtsbehörden gewährleistet sein. Bis zum 21. Oktober können Änderungsanträge zu dem Berichtsentwurf eingereicht werden.

Bedingte Honorarvereinbarungen nicht mit EMRK vereinbar – EGMR

Die britischen Regelungen über bedingte Honorarvereinbarungen können gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK unter dem Gesichtspunkt der Waffengleichheit sowie gegen Art. 1 des Zusatzprotokolls Nr. 1 verstoßen. So entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte am 11. Oktober 2022 in der Sache Coventry v. The United Kingdom (Beschwerde-Nr. 6016/16, in Englisch). Die bedingten Erfolgshonorare (conditional fee arrangement - CFA) fallen dem unterliegenden Prozessgegner zur Last und können dazu führen, dass dieser für Kosten aufkommen muss, die der Finanzierung völlig anderer, erfolglos verlaufener Rechtsstreitigkeiten des Klägers dienen. Der Antragsteller vor dem EGMR war in einem Schadenersatzprozess unterlegen und hatte gemäß dem gegen ihn ergangenen Kostenbeschluss das 80-fache der eigentlichen Schadenersatzsumme zu zahlen. In Bezug auf nicht versicherte Beklagte stellte der Europäische Gerichtshof in dem Fall einen Verstoß gegen den Grundsatz der Waffengleichheit aus Art. 6 Abs. 1 EMRK fest. Der Gerichtshof stützt seine Entscheidung auf die Gefahr einer frühzeitigen Beilegung des Rechtsstreits durch den (unversicherten) Beklagten, obwohl dieser an sich gute Erfolgsaussichten in der Streitsache hat. Ferner ist für den Gerichtshof das unverhältnismäßig starke Ungleichgewicht maßgebend, das zwischen einem durch eine Rechtsschutzversicherung abgesicherten Kläger, der mit seinem Anwalt zudem ein bedingtes Erfolgshonorar vereinbart hat und einem unversicherten Beklagten besteht.

Doppelbestrafungsverbot nicht auf Unionsbürger beschränkt – EuGH

In seinen Schlussanträgen zu der Rs. C-435/22 vertritt Generalanwalts Collins die Ansicht, dass der Schutz durch das in Art. 54 des Schengener Durchführungsübereinkommens in Verbindung mit Art. 50 der Grundrechtecharta aufgestellte Verbot der Doppelbestrafung jeder Person zusteht, unabhängig davon, ob sie die Unionsbürgerschaft im Sinne von Art. 20 AEUV besitzt. Im vorliegenden Fall befindet sich ein serbischer Staatsangehöriger infolge einer Red Notice von Interpol auf Basis eines Haftbefehls eines US-amerikanischen Gerichts in Auslieferungshaft in Deutschland. Da sich das Auslieferungsersuchen der Behörden auf Taten bezieht, derentwegen der Betroffene bereits rechtskräftig in Slowenien verurteilt wurde und diese Strafe vollstreckt wurde, müsse nach dem Grundsatz ne bis in idem die Auslieferung verweigert werden. Dass er als Drittstaatsangehöriger aus Serbien kein Recht auf Freizügigkeit nach Art. 21 I AEUV genießt, stehe der Geltung des Doppelbestrafungsverbots nicht entgegen. Mit Verweis auf das Urteil des EuGH in der Rs. C-505/19 (vgl. EiÜ 17/21; 39/20) dürfe aufgrund des gegenseitigen Vertrauens im Raum der Freiheit, Sicherheit und des Rechts eine Person nicht mehrfach wegen derselben Straftaten verfolgt werden. Der Generalanwalt lehnte das Argument des vorlegenden Oberlandesgerichts München, Deutschland sei aus einem bilateralen Abkommen zur Auslieferung verpflichtet, ab. Trotz des bestehenden Vertrages mit den USA könne der Verstoß gegen Unionsrecht nicht unter Berufung auf Art. 315 I AEUV gerechtfertigt werden.

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