Europa im Überblick, 35/15

ARBEITSPROGRAMM DER KOMMISSION FÜR 2016: NO TIME FOR BUSINESS AS USUAL – KOM

„Die EU ist an einem entscheidenden Punkt angekommen. Wir stehen vor nie dagewesenen Herausforderungen“. Dies sind Ausschnitte aus dem mit „No time for business as usual“ betitelten Arbeitsprogramm der EU-Kommission für das Jahr 2016. Die Probleme in der Flüchtlingskrise, die Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion, den Klimawandel – all diese Herausforderungen will die Kommission 2016 unter Verfolgung der 10 Prioritäten von Kommissionspräsident Juncker angehen. Im Justizbereich steht die Umsetzung der Strategie für den digitalen Binnenmarkt an mit einer Veröffentlichung von Legislativvorschlägen zum Online-Kaufrecht für digitale und Sachgüter sowie zu einer Urheberrechtsreform und zum Geo-Blocking. Auch die Umsetzung der neuen Binnenmarktstrategie (s.u.) zählt zu den Prioritäten. Außerdem soll die EU-Sicherheitsagenda vom April 2015 umgesetzt und u.a. ein Vorschlag zur Überarbeitung des Rahmenbeschlusses über Terrorismus veröffentlicht werden. Die Kommission verfolgt außerdem das Ziel eines interinstitutionellen Abkommens über ein verpflichtendes Transparenzregister für Interessenvertreter. Die Kommission kündigt auch ihre Prioritäten bei laufenden Verfahren an, darunter zahlreiche im Bereich Justiz und Inneres: die Europäische Staatsanwaltschaft, die Datenschutzreform, die europäische Frauenquote in Aufsichtsräten, die Richtlinie zur Fluggastdatenspeicherung und die horizontale Antidiskriminierungsrichtlinie. Schließlich sollen im Rahmen des REFIT-Programms 20 Vorschläge zurückgezogen werden – keiner davon stammt aus dem Justizbereich.

NEUE BINNENMARKTSTRATEGIE – UND DIE FREIEN BERUFE? – KOM

Die EU-Kommission hat am 28. Oktober 2015 in der Mitteilung COM(2015) 550 ihre neue Binnenmarktstrategie vorgestellt. Sie kündigt darin Maßnahmen für die Jahre 2016 und 2017 an, die zur Stärkung der Investitionstätigkeit innerhalb der EU sowie zum Abbau von Beschränkungen auf den grenzüberschreitenden Waren- und Dienstleistungsmärkten ergriffen werden sollen. Auch im freiberuflichen Dienstleistungssektor sollen noch bestehende, regulatorische Hürden beim Berufszugang sowie der Berufsausübung abgebaut werden. Hierzu wird die EU-Kommission regelmäßig Informationsmaterial veröffentlichen, um konkreten Reformbedarf in den Mitgliedstaaten zu ermitteln und mittels eines Analyserasters Regulierungshemmnisse bei ausgewählten Berufsgruppen ausmachen. Dies soll auch legislative Maßnahmen im Hinblick unterschiedlicher Rechtsformen, Anforderungen an Beteiligungsverhältnisse sowie multidisziplinäre Einschränkungen für wichtige Unternehmensdienstleistungen umfassen. Die den Dienstleistungssektor betreffenden Maßnahmen sind für das Jahr 2016 vorgesehen.

BERUFSGEHEIMNIS WEITER GEFÄHRDET – EP

Die Massenüberwachung durch Nachrichtendienste unterläuft weiter das Berufsgeheimnis von Berufsgeheimnisträgern wie Anwälten, Ärzten oder Journalisten. Ferner verstößt die Überwachung vertraulicher Anwalt-Mandantenkommunikation gegen die Artikel 6, 47 und 48 der EU-Grundrechtecharta sowie gegen die Richtlinie 2013/48/EU über das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand. Dies sind Feststellungen in einer Entschließung des EU-Parlaments im Nachgang zum Bericht zu dem Überwachungsprogramm der NSA, Überwachungseinrichtungen in mehreren Mitgliedstaaten und Auswirkungen auf die Grundrechte der EU-Bürger vom 12. März 2014, die das Plenum am 29. Oktober 2015 angenommen hat (der Volltext ist noch nicht verfügbar, s. aber Pressemitteilung des Parlaments und bereits EiÜ 33/15). Die Abgeordneten fordern die EU-Kommission auf, spätestens bis Ende 2016 eine Mitteilung zum Schutz der vertraulichen Kommunikation von Berufsgeheimnisträgern vorzulegen. Außerdem begrüßten die Abgeordneten das EuGH-Urteil zur Nichtigkeit von „Safe Harbor“ (vgl. EiÜ 32/15) und forderten die Kommission auf, unverzüglich eine Alternative zu Safe Harbor zu finden.

JOUROVÁ IM EU-PARLAMENT: SAFE HARBOR 2.0 VOR ABSCHLUSS – EP

Nach dem Safe-Harbor Urteil vom 6. Oktober 2015 hat die EU-Justizkommissarin Jourová den Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE) des EU-Parlaments am 26. Oktober über den Stand der Verhandlungen zu einem neuen Safe-Harbor-Übereinkommen unterrichtet. Die Verhandlungen seien nach über zwei Jahren weit fortgeschritten. Jourová zeigte sich optimistisch, dass die Verhandlungen abgeschlossenen würden, bevor die Artikel 29-Datenschutz-Arbeitsgruppe ab Ende Januar 2016 die gestärkten Ermittlungsbefugnisse der nationalen Datenschutzaufsichtsbehörden – wie angekündigt - auch in der Praxis anwenden werde. Die deutsche Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder kündigte derweil am 26. Oktober in einem Positionspapier an, ab sofort und ohne vorausgegangene Beschwerden die Datentransfers von Google und Facebook in die USA zu untersuchen. Auch wenn Safe Harbor 2.0 in Kraft ist wird die Untersuchungspraxis der nationalen Datenschutzaufsichtsbehörden von erhöhter Relevanz sein, denn laut EuGH in seine Urteil werden die Pflichten der nationalen Behörden durch ein solches Übereinkommen nicht beschränkt, auch die vom Übereinkommen erfassten Datentransfers trotzdem bei Beschwerden zu untersuchen.

BERUFUNGSGERICHT BESTÄTIGT: MASSENÜBERWACHUNG VON ANWÄLTEN IST ILLEGAL – CCBE

Die systematische Überwachung von Anwälten durch Geheimdienste verletzt wesentliche Grundrechte. Das hatte bereits das Bezirksgericht Den Haag am 1. Juli 2015 entschieden und die Unterlassung staatlicher Überwachung der Anwalt-Mandanten-Kommunikation angeordnet (s. EiÜ 24/15). Der niederländische Staat legte jedoch Berufung dagegen ein – und unterlag am 27. Oktober. In dem Verfahren, dem der CCBE als Streithelfer beigetreten war, ging es um die Rechtmäßigkeit von Abhörmaßnahmen der Kommunikation der Kanzlei Prakken d’Oliveira durch niederländische Nachrichtendienste. In seinem Urteil bestätigte das Berufungsgericht die Feststellungen des erstinstanzlichen Gerichts und wies alle Berufungsgründe ab. Es bestätigte die Vertraulichkeit der Anwalt-Mandanten-Kommunikation als wesentliches Grundrecht, das aktuell durch die niederländischen Sicherheitsbehörden verletzt werde. Nur eine unabhängige Stelle könne befugt sein, Entscheidungen über Abhörmaßnahmen bzgl. vertraulicher Anwalt-Mandanten-Kommunikation zu treffen und diese evtl. zu verhindern oder zu stoppen. Die aktuellen nachrichtendienstlichen Regelungen gewährleisteten diese Unabhängigkeit nicht. Der CCBE begrüßte die Entscheidung in einer Pressemitteilung. Das Urteil wird rechtskräftig, falls innerhalb von drei Monaten keine der Parteien einen Revisionsantrag beim Obersten niederländischen (Zivil)-Gericht stellt.

EU-PARLAMENT STIMMT FÜR RICHTERERHÖHUNG AM GERICHT DER EU – EP

Das Plenum des Europäischen Parlaments hat am 28. Oktober 2015 die Entschließung des Rechtsausschusses (JURI) angenommen und damit entschieden: Das Gericht der EU (früher: EuG) soll 28 neue Richter bekommen. 21 Richter (davon 12 im Jahr 2015 und voraussichtlich neun im Jahr 2019) sollen neu nominiert werden, sieben weitere Richter sollen durch die Zusammenführung des Gerichts der EU mit dem Gericht für den öffentlichen Dienst nominiert werden. Damit unterstützt das Parlament – ebenso wie der Rat - die Forderung des EuGH (vgl. EiÜ 12/15, 32/15). Voraussetzung für die Erhöhung der Richterzahl ist ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Richterinnen und Richtern.

PAUSCHAL- UND BAUSTEINREISEN: VERBRAUCHER GESTÄRKT! – EP

Das Plenum des Europäischen Parlaments hat den im Rahmen der Trilogverhandlungen mit dem Rat und der Europäischen Kommission erreichten Kompromiss zur Richtlinie über Pauschalreisen und verbundenen Reisedienstleistungen mit einer legislativen Entschließung am 27. Oktober angenommen (s. EiÜ 33/15; 30/15). Der DAV hatte sich sowohl mit einer Stellungnahme als auch in einer Anhörung in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht (s. DAV-Stn. 44/2013, EiÜ 11/14). Die Mitgliedstaaten haben nun zwei Jahre Zeit, die neuen Vorschriften in nationales Recht umzusetzen und weitere 6 Monate, um sie wirksam werden zu lassen.

ADIEU ROAMINGGEBÜHREN, ADIEU NETZNEUTRALITÄT? – EP

Erstmals gibt es EU-weite Vorschriften zum Schutz der Netzneutralität – und diese schränken die Netzneutralität nicht unerheblich ein. Das Plenum des EU-Parlaments nahm am 27. Oktober die Verordnung über Maßnahmen zum Zugang zum offenen Internet an. Die Anbieter von Internetzugangsdiensten sollen demnach zwar den gesamten Verkehr gleichbehandeln; Internetanbieter dürfen jedoch sog. „Spezialdienste“ anbieten, z. B. für Internet-TV, Videokonferenzen oder bestimmte Anwendungen im Gesundheitswesen - jedoch nur unter der Bedingung, dass sich dies nicht auf die allgemeine Internetqualität auswirkt. Doch auch ein Verkehrsmanagement inklusive der Drosslung bestimmter Dienste oder Inhalte ist ausdrücklich vorgesehen, und zwar schon bei einer "drohenden Überlastung des Netzes". Die Verordnung regelt auch, dass ab 15. Juni 2017 die Mobilfunk-Roaminggebühren für SMS, Anrufe und Internet im EU-Ausland entfallen.

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