Europa im Überblick, 35/18

EiÜ 35/18

Verbandsklagen auch für geschädigte Unternehmen? – EP

Bei dem Richtlinienvorschlag zu Verbandsklagen (s. EiÜ 25/18) sollten bestimmte Aspekte harmonisiert, den Mitgliedstaaten jedoch darüber hinaus genügend Ermessensspielraum gegeben werden. Das ist die Grundaussage der vom Rechtsausschuss (JURI) des EU-Parlaments in Auftrag gegebenen externen Studie zu „Collective redress in the Member States of the European Union“ (nur auf Englisch verfügbar), die am 10. Oktober 2018 vorgestellt wurde. In der Studie wird auch die Unklarheit in Bezug auf Opt-In bzw. Opt-Out kritisiert. Als Lösung wird ein gemischtes System wie in Belgien vorgeschlagen, wonach die Gerichte bestimmen können, ob für das Verbandsklageverfahren Opt-In oder Opt-Out erforderlich sein soll. Gleichzeitig sollten der Studie zufolge dann den Gerichten Leitfäden zur Verfügung gestellt werden. Aus anwaltlicher Sicht relevant sind ergänzende Vorschläge in der Studie, wonach der Verlierer des Prozesses die Kosten tragen muss und Erfolgshonorare verboten sind. Außerdem wird in der Studie empfohlen, dass Verbandsklagen auch für geschädigte Unternehmen möglich sein sollen. Im federführenden Rechtsausschuss steht die Veröffentlichung des Berichtsentwurfes von Berichterstatter Geoffroy Didier (EVP) kurz bevor.

Restrukturierung vor der Insolvenz: EU-Mitgliedstaaten finden Position – Rat

Der Rat der Justizminister hat am 11. Oktober 2018 seine Verhandlungsposition zum Richtlinienvorschlag für präventive Restrukturierungsverfahren (s. EiÜ 28/18) festgelegt (s. allgemeine Ausrichtung). Bezüglich des Zugangs von Schuldnern zum präventiven Restrukturierungsrahmen soll es den Mitgliedstaaten demnach unter bestimmten Voraussetzungen möglich sein, fakultativ eine Rentabilitätsprüfung einzuführen. Mit Blick auf das dem Richtlinienvorschlag zugrundeliegende Prinzip der Eigenverwaltung enthält die allgemeine Ausrichtung einen Kompromiss, wonach über die Bestellung eines Insolvenzverwalters im Einzelfall zu entscheiden ist. Davon sind aber auch Ausnahmefälle vorgesehen, in denen das nationale Recht der Mitgliedstaaten eine zwingende Bestellung vorschreibt. Hinsichtlich der Aussetzung von Vollstreckungsmaßnahmen ist eine Höchstfrist von bis zu vier Monaten vorgesehen, die von einer Justiz- oder Verwaltungsbehörde auf bis zu zwölf Monate verlängert werden kann. Auch beim klassenübergreifenden Cram-down mussten die Mitgliedstaaten sich aufeinander zubewegen. Demnach können die Mitgliedstaaten zum einen die Bedingung, dass nur Gläubigerklassen „im Geld“ den Restrukturierungsplan mittragen dürfen, unter bestimmten Voraussetzungen umgehen. Zum anderen wird den Mitgliedstaaten die Option gegeben, eine „Regel des relativen Vorrangs“ einzuführen, um ablehnende Gläubigerklassen bei einer Anwendung des klassenübergreifenden Cram-downs zu schützen. Nun können die Verhandlungen zwischen dem EU-Parlament und dem Rat aufgenommen werden. Ziel ist es, Anfang 2019 eine Einigung zu erzielen.

Stärkung der Rolle der Notare? – EP

Die Rolle der Notare in dem Richtlinienvorschlag über den Einsatz digitaler Mittel im Gesellschaftsrecht (s. EiÜ 29/18) soll weiter gestärkt werden. Das wird in den diese Woche vorgestellten Änderungsanträgen der EU-Parlamentarier aus dem Rechtsausschuss (JURI) gefordert. Hiernach sollen Notare nicht nur beim Eintragungsantrag, sondern während des gesamten Gründungsverfahrens beteiligt werden können. Auch bei der Verwendung von Mustern soll eine präventive Rechtmäßigkeitskontrolle möglich sein. Kritisch zu sehen ist ein Änderungsantrag, wonach EU-weit einheitliche Muster geschaffen werden sollen. Der DAV (s. Stellungnahme 30/18) hält es insgesamt für praktisch nicht durchsetzbar, interessensgerechte Muster zu schaffen. In der Aussprache zu den Änderungsanträgen (134-363; 364-593; 594–812) zum Richtlinienvorschlag zur grenzüberschreitenden Mobilität von Gesellschaften (s. EiÜ 29/18) wurde u.a. die Frage kontrovers diskutiert, ob ein über den Richtlinienvorschlag hinausgehender Arbeitnehmerschutz zum Beispiel durch eine stärkere Einbindung bei der Berichtsverfassung erforderlich ist. Der DAV begrüßt die von Abgeordneten aus der EVP-Fraktion vorgeschlagene Streichung von Art. 86c Abs. 3, wonach bei künstlicher Gestaltung ein Formwechsel ausgeschlossen werden soll. In der Stellungnahme 31/18 hat der DAV hierzu dargelegt, dass Unternehmen nicht unter Generalverdacht gestellt werden sollen und die bereits von dem Richtlinienentwurf selbst getroffenen Vorkehrungen gegen Missbrauch ausreichen. Die Abstimmung über den Berichtsentwurf im Rechtsausschuss ist derzeit für den 19./20. November 2018 vorgesehen.

Digitalisierung der Justizsysteme noch uneinheitlich – Europarat

Die Zahl der Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen in den Mitgliedsstaaten des Europarats hat leicht zugenommen. Sie liegt nun bei durchschnittlich 161 Anwälten pro 100.000 Einwohner. Deutschland liegt mit 200 Anwälten pro 100.000 Einwohner zwar über dem Durchschnitt, die Zahlen sind hier aber leicht rückläufig. Dies ist eines der Ergebnisse des am 4. Oktober 2018 vorgestellten siebten Berichts zur Effizienz und Qualität der Justizsysteme der Europäischen Kommission für die Wirksamkeit der Justiz (CEPEJ) des Europarats (zum 6. Bericht s. EiÜ 32/16). Allerdings bleibt der Anwaltsberuf weiterhin männlich dominiert, mit einem durchschnittlichen Männeranteil von 59% (60% in Deutschland), während bei Richter- und Staatsanwaltschaft inzwischen der Frauenanteil mit jeweils 53% im Durchschnitt leicht größer ist. Die digitale Transformation der Justizsysteme schreitet noch sehr uneinheitlich voran. Elektronische Fallmanagementsysteme finden zwar inzwischen fast überall Verwendung. Allerdings bewirken sie nicht systematisch eine Verbesserung der Effizienz der Justiz. CEPEJ regt hier eine bessere Kooperation mit Endnutzern wie Anwälten an, bevor komplexere Systeme entwickelt werden. Der Bericht zeigt des Weiteren auf, dass – wie in den Vorjahren – Fortschritte bei Prozesskostenhilfesystemen und beim Zugang zu den Gerichten gemacht wurden. So existiert in allen teilnehmenden Staaten ein Prozesskostenhilfesystem, das den Anforderungen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) entspricht.

Inländische Zwangsvollstreckungsfrist für ausländischen Sicherungstitel – EuGH

Eine inländische Zwangsvollstreckungsfrist darf auf einen ausländischen Sicherungstitel angewandt werden. Das entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit seinem Urteil vom 4. Oktober 2018 in der Rs. C-379/17. Eine italienische Immobiliengesellschaft erwirkte in Italien eine Verfügung über eine Sicherstellungsbeschlagnahme gegen einen deutschen Schuldner. Bei dem Grundbuchamt des Amtsgerichts München wurde die Eintragung einer Hypothek an dem in Deutschland belegenen Grundbesitz des Schuldners als verspätet zurückgewiesen, da seit der nach Art. 38 Brüssel-I Verordnung erforderlichen Vollstreckbarerklärung bereits acht Monate vergangen waren. Der Bundesgerichtshof legte dem EuGH die Frage vor, ob die Brüssel-I Verordnung § 929 Abs. 2 ZPO entgegensteht, wonach die Vollziehung eines Arrestbefehls nach mehr als einem Monat nach Zustellung unstatthaft ist. Der EuGH entschied, dass die entsprechende deutsche Vorschrift nicht die Erteilung der Vollstreckbarerklärung betreffe, sondern die eigentliche Vollstreckung regle. Diese werde von der Brüssel-I Verordnung aber nicht harmonisiert und unterliege daher nationalem Recht. Es sei nicht erforderlich, einer ausländischen Entscheidung bei ihrer Vollstreckung eine Wirkung (wie zum Beispiel die Vollstreckungsfrist) zuzuerkennen, die im Vollstreckungsstaat nicht vorgesehen ist. Nach Ansicht des EuGH bestehe keine Gefahr, dass der Gläubiger im Vollstreckungsmitgliedstaat dadurch nicht vollstrecken kann.

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