Europa im Überblick, 35/19

EiÜ 35/19

Schwung für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit: Jourovás Pläne – EP

Die designierte Vizepräsidentin der EU Kommission für Werte und Transparenz Věra Jourová musste sich in dieser Woche den mündlichen und schriftlichen Fragen der Ausschüsse Recht, Bürgerliche Freiheiten und Inneres und Konstitutionelle Angelegenheiten stellen. Sie erklärte, ihre Prioritäten seien die Entwicklung eines Mechanismus zur jährlichen Überprüfung der Rechtsstaatlichkeit in den Mitgliedstaaten, die Schaffung von mehr Transparenz im Gesetzgebungsverfahren, u.a. durch verstärkte Veröffentlichung von Trilogdokumenten, sowie der Kampf gegen Desinformation und Hassrede. Eine dem NetzDG vergleichbare Initiative sei nicht geplant, den bei Zweifeln zu deren Rechtmäßigkeit sollten Inhalte auf Plattformen verbleiben und nicht wie in Deutschland gelöscht werden. Die derzeit noch amtierende Justizkommissarin betonte zudem, das Funktionieren des Europäischen Haftbefehls müsse überprüft und Haftbedingungen verbessert werden. Beim horizontalen Thema künstliche Intelligenz werde ihr Augenmerk auf der Einhaltung der Grundrechte liegen. Schließlich sollten künftig die Auswirkungen jeder Initiative der Kommission auf die Rolle der Frau in der Wirtschaft und der Gesellschaft beobachtet werden.

Gerichtshof für Menschenrechte stärkt anwaltliche Meinungsfreiheit – EGMR

Um Kritik von Anwälten an Richtern ging es in einem Urteil des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vom 8. Oktober 2019 (L.P. and Carvalho v. Portugal). Zwei Anwälte hatten in verschiedenen Verfahren in Portugal im Rahmen ihrer Tätigkeit Richterinnen per Brief eine „große Vertrautheit mit dem Strafverteidiger“ sowie in einer Anzeige eine rassistisch motivierte Diskriminierung vorgeworfen. Daraufhin waren beide wegen Diffamierung und Ehrverletzung zu Geldstrafen verurteilt worden. Zu Unrecht, so der EGMR, denn die Tätigkeit war von der anwaltlichen Meinungsfreiheit gem. Art. 10 EMRK gedeckt. Mehr dazu hat das Anwaltsblatt.

Abhängigkeit der österreichischen Staatsanwaltschaft gebilligt – EuGH

Während der EuGH in einem Fall zum Europäischen Haftbefehl die deutsche Staatsanwaltschaft als nicht unabhängig genug zum Erlass dieser Maßnahme eingestuft hatte (vgl. EiÜ 18/19), kommt er bei der österreichischen Staatsanwaltschaft in einer Vorlagefrage des Berliner Kammergerichts nun zum gegenteiligen Ergebnis. Trotz Weisungsgebundenheit gegenüber der Exekutive ist die dortige Staatsanwaltschaft unabhängig genug, so der EuGH in der Rs. C‑489/19 PPU. Denn der Haftbefehl werde dort von einem Gericht bewilligt, das in Kenntnis der gesamten Sachlage eine eigene, unabhängige und objektive Entscheidung treffe, die dem Haftbefehl seine endgültige Form gebe. Erforderlich sei, dass das Gericht Zugang zur gesamten, etwaige Anordnungen oder Einzelweisungen der Exekutive enthaltenden Ermittlungsakte habe und in unabhängiger und objektiver Weise prüfe, ob die Voraussetzungen für die Ausstellung der Haftbefehle vorlägen und ob sie verhältnismäßig seien. Die Weisungsbefugnis der deutschen Justizminister gegenüber den Staatsanwaltschaften kann nach dieser Entscheidung, wie vom BMJV angenommen, Bestand haben.

Mehrfachzession einer Forderung nicht von Rom-I-Verordnung erfasst – EuGH

In seinem Urteil von 9. Oktober 2019 in der Rs. C-548/18 stellt der EuGH klar, dass die Rom-I-Verordnung nicht auf die Auslegung einer Mehrfachabtretung einer grenzüberschreitenden Forderung anzuwenden ist. Vielmehr beruht das Fehlen von Kollisionsnormen zur Frage der Drittwirkung von Forderungsübertragungen auf einer bewussten Entscheidung des Unionsgesetzgebers. Im zugrundeliegenden Fall zedierte die luxemburgische Darlehensnehmerin zu Sicherungszwecken ihre Ansprüche gegenüber dem Arbeitgeber zunächst an eine Bank ohne Benachrichtigung des Arbeitgebers. In weiterer Folge zedierte die Darlehensnehmerin dieselbe Forderung erneut als Sicherheit für einen weiteren Kredit. Diesmal jedoch benachrichtigte die Bank den Arbeitgeber von der Abtretung. Im Insolvenzverfahren erhoben beide Banken Anspruch auf die Forderung, mit der sie die jeweiligen Kredite besichert hatten. Nun musste zur Feststellung des Forderungsinhabers bei Mehrfachabtretungen das auf die Drittwirkungen einer Forderungsabtretung anwendbare Recht bestimmt werden. Der EuGH kommt zum Ergebnis, dass Art. 14 Rom-I-Verordnung weder unmittelbar noch durch entsprechende Anwendung bestimmt, welches Recht auf die Drittwirkungen einer Forderungsabtretung bei Mehrfachabtretung einer Forderung anzuwenden ist. Dabei verweist der EuGH auf den laufenden Gesetzgebungsprozess für eine Verordnung über das auf die Drittwirkung von Forderungsübertragungen anzuwendende Recht. Der DAV hat diese Problematik ausführlich in seiner Stellungnahme Nr. 19/2018 thematisiert und weist darauf hin, dass der Vorschlag in mehrfacher Hinsicht geändert werden muss (EiÜ 21/18).

10 Jahre Grundrechtecharta: Bekräftigung gemeinsamer Werte – Rat  

Die Europäischen Justizminister haben am 7. Oktober 2019 die Schlussfolgerungen zum 10. Jahrestag der Charta der Grundrechte angenommen. Darin bekräftigen sie, dass die Gründung der Europäischen Union auf gemeinsamen Werten beruht, welche die Achtung und Wahrung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit umfassen. Ähnlich wie auch die Kommission in ihrem Bericht über die Anwendung der EU-Charta der Grundrechte für das Jahr 2018 (EiÜ 23/19) anmerkte, nimmt auch der Rat zur Kenntnis, dass das Bewusstsein in der Öffentlichkeit für die Charta der Grundrechte nach wie vor gering ist und ruft die Mitgliedsstaaten auf, ihre Maßnahmen im Hinblick auf Sensibilisierung und Schulung für alle wichtigen Akteure, einschließlich der Rechtspraktiker zu intensivieren.

Richtlinie zum Schutz von Hinweisgebern verabschiedet – Rat

Hinweisgeber, die Informationen über illegale oder schädliche Tätigkeiten offenlegen, die im beruflichen Kontext erworben wurden, werden nach den neuen EU-Vorschriften besser geschützt. So sind Unternehmen mit mehr als 50 Beschäftigten und Gemeinden mit mehr als 10.000 Einwohnern verpflichtet, zuverlässig funktionierende Meldekanäle einzurichten. Die Hinweisgeber werden durch die Vorschriften davor geschützt, suspendiert, herabgestuft oder eingeschüchtert zu werden. Vom Anwendungsbereich umfasst sind Bereiche wie die öffentliche Auftragsvergabe, Finanzdienstleistungen, die Verhütung von Geldwäsche, das Gesundheitswesen usw. Aus Gründen der Rechtssicherheit wurde der Richtlinie eine Liste mit allen erfassten EU-Rechtsinstrumenten angefügt, wobei es Mitgliedsstaaten freigestellt ist, über diese Liste hinausgehen. Der Rechtsakt wird nun förmlich unterzeichnet und im Amtsblatt veröffentlicht. Die Mitgliedsstaaten haben zwei Jahre Zeit, um die Vorschriften in nationales Recht umzusetzen.

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