EiÜ 35/2022
Die europäische Frauenquote für Aufsichtsräte kommt – Rat
Am Montag, den 17. Oktober 2022 hat der Rat der Europäischen Union nun seine endgültige Zustimmung zu der bereits seit 2012 geplanten Richtlinie für eine ausgewogenere Vertretung von Frauen und Männern in den Leitungsorganen von Gesellschaften erklärt, vgl. Pressemitteilung. Dem Beginn der Verhandlungen mit dem EU-Parlament im März 2022 war eine jahrelange Blockadehaltung einiger Ratsmitglieder, darunter auch Deutschland, vorangegangen. Die vom DAV in ihrer Zielsetzung begrüßte Richtlinie (vgl. SN 52/14) sieht zwei verschiedene Modelle der Quotierung in den Mitgliedstaaten vor: demnach müssen künftig entweder mindestens 40 Prozent der Mitglieder in Aufsichtsräten oder 33 Prozent der Mitglieder in Aufsichtsräten und Vorständen dem bislang unterrepräsentierten Geschlecht angehören. (vgl. EiÜ 41/15, 10/22, 21/22). Zu klären ist noch ob, bzw. inwiefern sich vor dem Hintergrund des Zweiten Führungspositionengesetzes von 2021 für Deutschland noch ein Umsetzungsbedarf ergibt oder ob, wie das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend meint, den Anforderungen der Richtlinie bereits Genüge getan wird. Die noch erforderliche Annahme der Richtlinie durch das Europäische Parlament gilt als Formsache.
Strafverfolgung in der Ukraine und Sanktionsverstöße – Rat
Im Rahmen der Tagung des Rats „Justiz und Inneres“ haben die Justizminister:innen der Mitgliedstaaten am 13. Oktober 2022 (vgl. EiÜ 34/22) das Vorgehen der Justiz und die Bekämpfung der Straflosigkeit von Verbrechen erörtert, die im Zusammenhang mit Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine begangenen werden, (vgl. Pressemitteilung). Mit Unterstützung von Eurojust wurde durch fünf Mitgliedstaaten und die Ukraine eine gemeinsame Ermittlungsgruppe (GEG) eingesetzt, um den Austausch von Informationen und Beweismitteln zu vereinfachen und die strafrechtlichen Ermittlungen zu den in der Ukraine verübten Straftaten effektiver zu gestalten. Durch das Inkrafttreten der geänderten Eurojust-Verordnung (EU) 2022/838 war die Rolle von Eurojust als Koordinierungsstelle der mitgliedstaatlichen Justizbehörden bei der Sicherung, Analyse und Speicherung von Beweismitteln gestärkt worden (vgl. EiÜ 20/22). Im Hinblick auf die Aufnahme von Verstößen gegen EU-Sanktionen in die Liste derjenigen Kriminalitätsbereiche, zu denen die EU nach Art. 83 Abs. 1 AEUV Mindestvorschriften zu Strafen und Straftaten erlassen kann, soll der entsprechende Ratsbeschluss voraussichtlich am 24. Oktober 2022 angenommen werden (vgl. EiÜ 20/22). Sobald der Rat seine Zustimmung erteilt hat, wird die EU-Kommission eine Richtlinie mit den erweiterten Straftatbeständen vorschlagen.
Arbeitsprogramm 2023 der Kommission veröffentlicht – KOM
Die EU-Kommission hat am 18. Oktober 2022 ihr Arbeitsprogramm für das Jahr 2023 mit dem Titel „Eine entschlossen und geeint vorgehende Union“ veröffentlicht. Es enthält 43 neue Initiativen, die auf Basis ihrer politischen Leitlinien an die Ergebnisse der Konferenz zur Zukunft Europas anschließen, (siehe Anhang). Vorgesehen ist u.a. ein Paket zur Lizenzierung von Patenten, die Förderung der Digitalisierung im Gesellschaftsrecht, der sogenannte BEFIT-Rahmen zur Unternehmensbesteuerung, die Ergänzung der Sanktionsinstrumente für die Korruptionsbekämpfung sowie die Digitalisierung von Reisedokumenten. Neuen Schwung für die Demokratie in Europa soll ein Paket zur Verteidigung der Demokratie bringen, welches eine Initiative zum Schutz des Unionsraums vor externen Interessen beinhaltet. Die EU-Kommission plant für das nächste Jahr auch die Überarbeitung der Richtlinie zur Bekämpfung von Kindesmissbrauch.
KI-Konvention sollte Grundrechte stärker schützen – EDPS / Europarat
Neben den Verhandlungen zum Verordnungsvorschlag der EU-Kommission über Künstliche Intelligenz (vgl. EiÜ 25/22, 18/22, 16/22) finden derzeit auch Verhandlungen zu einer KI-Konvention des Europarates statt. Eine solche müsse gemäß den EU-Standards und -Werten zu Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit starke und eindeutige Garantien zum Schutz von Personen und Gruppen enthalten, die von der Nutzung von KI-Systemen betroffen sein könnten. Dies betonte der Europäische Datenschutzbeauftragte (EDPS) in seiner am 13. Oktober 2022 veröffentlichten Stellungnahme (in Englisch) zur Aufnahme von Verhandlungen eines solchen Übereinkommens (siehe Empfehlung für einen Ratsbeschluss). Wie der DAV bereits in Stellungnahmen Nr. 40/2020 sowie 57/2021 anmerkte, betrachtet auch der EDPS KI-Systeme kritisch, die zum Zwecke der biometrischen Identifizierung von Personen in öffentlich zugänglichen Räumen oder für die Kategorisierung von Personen auf der Grundlage ihrer biometrischen Daten verwendet würden und verlangt deren Verbot. Zudem sollte ein Mindestmaß an Verfahrensgarantien vorgesehen werden, sowie der transparente und nachvollziehbare Einsatz von KI-Systemen, als auch Einhaltungs- und Kontrollmechanismen gewährleistet werden.
Racial Profiling muss unabhängig untersucht werden – EGMR
Am 19. Oktober 2022 stellte der EGMR in der Rs. Basu gegen Deutschland (Beschwerdenr. 219/15; in Englisch) fest, dass Vorwürfe von polizeilichem Racial Profiling so schwerwiegend seien, dass sie unabhängig untersucht werden müssen. Der Kläger hatte der Bundespolizei vorgeworfen, eine Personenidentitätskontrolle im deutsch-tschechischen Grenzgebiet ausschließlich aufgrund seiner dunklen Hautfarbe durchgeführt zu haben. Das Verwaltungsgericht Dresden und das Oberverwaltungsgericht Bautzen hatten die Klage unter Berufung auf ein mangelndes berechtigtes Interesse abgewiesen, das Bundesverfassungsgericht eine entsprechende Verfassungsbeschwerde ohne Begründung abgelehnt. Der EGMR stellte nun einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot aus Art. 14 EMRK in Verbindung mit dem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens im Sinne von Art. 8 EMRK fest, da sein Vorwurf einer Diskriminierung aufgrund seiner Hautfarbe nicht unabhängig untersucht worden sei. Eine interne Untersuchung gegen den kontrollierenden Polizeibeamten würde nicht das Kriterium der Unabhängigkeit erfüllen. Aufgrund der unzureichenden Ermittlungen sei es dem EGMR allerdings nicht möglich gewesen, festzustellen, ob es sich im konkreten Fall tatsächlich um Racial Profiling gehandelt habe.
Kein Vorbehalt bei Verbot der Doppelverfolgung möglich – EuGH
Generalanwalt Szpunar kommt in seinen Schlussanträgen zur Rs. C-365/21 vom 20. Oktober 2022 zu dem Ergebnis, dass auf der Grundlage von Art. 55 Abs. 1 Buchst. b des Schengener Durchführungsübereinkommens abgegebene Erklärungen unvereinbar mit Art. 50 und Art. 52 Abs. 1 der Grundrechtecharta sind. Wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung sowie des Anlagebetrugs in Form des Cybertradings erließ das Amtsgericht Bamberg gegen einen Beschuldigten einen Haftbefehl wegen Fluchtgefahr und darauf gestützt einen Europäischen Haftbefehl. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Beschuldigten wurde vom Landgericht Bamberg als unbegründet verworfen. Insbesondere hatte das Landgericht in seinem Beschluss darauf hingewiesen, dass das Verbot der Doppelverfolgung nach dem Schengener Durchführungsübereinkommen nicht gelte, weil Deutschland einen Vorbehalt bei der Ratifikation erklärt habe. Hiergegen legte der Beschuldigte Beschwerde vor dem OLG Bamberg ein. Der Generalanwalt argumentierte, dass ein solcher Vorbehalt nicht gesetzlich vorgesehen sei und auch nicht den Wesensgehalt des ne bis in idem-Grundsatzes achte. Die Schlussanträge des Generalanwalts sind für den EuGH nicht bindend. Das Urteil wird in einigen Monaten folgen.
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