EiÜ 36/24
Nachbesserungsbedarf bei der Europäischen Staatsanwaltschaft – DAV
Der DAV ist besorgt über einige organisatorische und strukturelle Mängel bei den deutschen Delegierten Europäischen Staatsanwälten. Dies äußert der DAV in seiner Stellungnahme Nr. 76/2024, vorbereitet durch den DAV-Gesetzgebungsausschuss Strafrecht, im Rahmen der Evaluierung der Europäischen Staatsanwaltschaft durch die EU-Kommission (vgl. bereits EiÜ 32/24). Der DAV sieht dadurch elementare Rechte von Beschuldigten beschnitten, wie den Anspruch auf rechtliches Gehör, faires Verfahren und das Beschleunigungsgebot in Haft. Konkret merkt der DAV an, dass die Aktenführung und Einsichtsgewährung der Delegierten Europäischen Staatsanwälte nicht den Anforderungen der deutschen Strafprozessordnung sowie den nach der Rechtsprechung des EGMR zu wahrenden Beschuldigtenrechten und dem verfassungsrechtlich ausgeformten Anspruch auf Aktenvollständigkeit entspricht. Aufgrund der bundesweiten Zuständigkeit der Delegierten Europäischen Staatsanwälte werden zudem Verfahren nicht zwingend im selben Landgerichtsbezirk geführt, in welchem der Beschuldigte seinen Wohnsitz hat und in welchem später die Anklage erfolgt. Daraus folgen häufige Gefangenentransporte und eine erschwerte Kontaktwahrung mit der Familie. Zusätzlich wird nach Ansicht des DAV in der Praxis häufig fast automatisch eine Fluchtgefahr angenommen und Untersuchungshaft angeordnet.
Designierter Justizkommissar: „Achtung der Rechtsstaatlichkeit ein Muss für EU-Mittel“ – KOM
Der designierte EU-Justizkommissar Michael McGrath hat die Antworten auf die Fragen der Abgeordneten des EU-Parlaments im Vorfeld seiner Anhörung vorgelegt. Mc Grath war früher irischer Finanzminister sowie Minister für öffentliche Leistungen und Reformen (sein Lebenslauf ist hier abrufbar) In seinen Antworten geht er auf seine Eignung und Unabhängigkeit sowie auf die geplante Politik in den Bereichen der bürgerlichen Freiheit und des Zivil- und Strafrechts, der Digitalpolitik, der Grundrechte und der Rechtsstaatlichkeit ein. In diesem Zusammenhang greift er u.a. die von Ursula von der Leyen geplante Verknüpfung der EU-Förderungen mit den Empfehlungen aus dem Rechtsstaatlichkeitsbericht auf. Die Anhörung ist am 5. November 2024 von 09:00 bis 12:00 Uhr. Anschließend evaluieren die Ausschussvorsitzenden und Koordinatoren die Anhörungen und geben ihre Schlussfolgerungen gegenüber der Präsidentenkonferenz des Parlaments ab.
Sacharow-Preis 2024 geht an venezolanische Oppositionelle – EP
Das EU-Parlament hat am 24. Oktober 2024 den venezolanischen Oppositionellen María Corina Machado und Edmundo González Urrutia den Sacharow-Preis für Menschenrechte verliehen, vgl. PM. Das EU-Parlament möchte damit den mutigen Kampf der Preisträger:innen zur Wiederherstellung von Freiheit und Demokratie in Venezuela würdigen (vgl. bereits EiÜ 32/24). Machado und González Urrutia waren die Anführer der Demonstrationen gegen Präsidenten Maduro, dem sie Wahlbetrug vorwerfen. Machado hatte im Juli dieses Jahres bei der Präsidentschaftswahl für die Opposition kandidiert, durfte jedoch letztlich nicht zur Wahl antreten. González Urrutia nahm daraufhin ihren Platz ein. Präsident Maduro war durch die linientreue Wahlbehörde abermals zum Wahlsieger erklärt worden, ohne die offiziellen Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen zu veröffentlichen. González Urrutia, der den Wahlsieg anfocht, musste im September 2024 das Land verlassen, nachdem ein Haftbefehl gegen ihn erlassen wurde. Die Preisverleihung findet am 18. Dezember 2024 im Rahmen der Plenarsitzung des EU-Parlaments in Straßburg statt.
Erneut weltweiter Rückgang der Rechtsstaatlichkeit – WJP
Das World Justice Project (WJP) hat neue Zahlen zur Rechtsstaatlichkeit in 142 Ländern vorgelegt. Aus dem Rechtsstaatlichkeitsindex 2024 geht hervor, dass in der Mehrheit der Staaten (57%) erneut ein Rückgang bei den rechtsstaatlichen Strukturen zu verzeichnen ist, wenn auch der Rückgang weniger intensiv ausfällt. Der Index wird anhand von acht Hauptindikatoren gebildet, diese sind die Beschränkung der Regierungsbefugnisse, die Abwesenheit von Korruption, transparentes Regierungshandeln, Grundrechte, Ordnung und Sicherheit, Durchsetzung von Rechtsvorschriften, Ziviljustiz und Strafjustiz. Das WJP ist eine ursprünglich durch die American Bar Association initiierte Organisation, die sich die Beobachtung und Stärkung der Rechtsstaatlichkeit weltweit zum Ziel setzt, vgl. zum Vorjahresbericht und zur Methodik bereits EiÜ 37/23. Das Land mit der stärksten Verbesserung im Vergleich zum Vorjahr ist Polen. Sylwia Gregorcyk-Abram von der Initiative Free Courts ging bei der Online-Vorstellung auf die durch die polnische Regierung vorgelegten Gesetzesentwürfe und die Herausforderungen ein, die bei der Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit weiterhin bestehen. Deutschland schneidet mit Platz 5 (wie im Vorjahr) sehr gut ab.
Save the Date: Webinar zum europäischen Lieferkettengesetz – ELF/CCBE
Am 7. November 2024 (09:00 – 11:00 Uhr) veranstaltet die European Lawyers Foundation (ELF) gemeinsam mit dem Rat der europäischen Anwaltschaften (CCBE) ein Webinar mit dem Titel „Coperate Sustainability Due Diligence Directive and ESG – What European Lawyers Need to Know“ (Programm hier abrufbar). Nach einem allgemeinen Überblick über die am 25. Juli 2024 in Kraft getretene Richtlinie, folgen Vorträge aus berufspraktischer Sicht zu den Auswirkungen für Anwält:innen in Bezug auf Entwicklungen im Bereich Environment, Social and Corporate Governance (ESG). Eine Registrierung für das kostenlose Webinar ist bis zum 6. November 2024 über das Anmeldeformular möglich.
Effizienz der Justiz: Deutschland im europäischen Vergleich – CEPEJ
Die Europäische Kommission für die Wirksamkeit der Justiz des Europarates (CEPEJ) hat am 16. Oktober 2024 die neuste Ausgabe ihres Berichts zur Evaluierung der Europäischen Justizsysteme veröffentlicht. Der Bericht basiert auf den Daten aus dem Jahr 2022 und betrifft 44 Mitgliedstaaten des Europarates sowie die Beobachterstaaten Israel und Marokko und setzt sich aus der allgemeinen Analyse, den Länderprofilen sowie einer Interaktiven Datenbank zusammen. Dargestellt werden die finanzielle Ausstattung der Justizsysteme Europas in Relation zur Effizienz der Gerichte sowie praktische Informationen zu Fallzahlen und Geschlechterrelation der verschiedenen Rechtsberufe (vgl. bereits EiÜ 33/22). Deutschland investiert 136,10 € pro Einwohner in das Justizsystem, was 0,30 % des Bruttoinlandsprodukts entspricht. Diese Investitionen umfassen Gerichte, Staatsanwaltschaften und Prozesskostenhilfe. Hinsichtlich des Einsatzes von Informationstechnologien zeigt sich für Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern, die verstärkt auf digitale Tools setzen, um Prozesse zu beschleunigen, noch Verbesserungsbedarf. Die verpflichtende anwaltliche Vertretung, die in vielen Fällen in Deutschland erforderlich ist, wird unter dem Aspekt des Zugangs zum Recht grundsätzlich positiv in der Bewertung der Effizienz hervorgehoben, allerdings auch auf die hierfür erforderlichen Ressourcen hingewiesen.
Russisches „Agenten-Gesetz“ verstoßt gegen EMRK – EGMR
Die Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat in seinem Urteil vom 22. Oktober 2024, Rs. 39446/16, entschieden, dass das russische Gesetz über „ausländische Agenten“ gegen die Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verstößt (auf Englisch hier abrufbar). Geklagt hatten 107 NGOs (u.a. International Memorial), Medienorganisationen und Einzelpersonen gegen das 2012 erlassene und seitdem stetig verschärfte, russische „Ausländische Agenten-Gesetz“. Es zwang die Kläger sich wegen vermeintlich politscher Arbeit und ausländischer Finanzierung als „ausländische Agenten“ zu registrieren und Veröffentlichungen entsprechend zu kennzeichnen. Seither verschärfte Russland das Gesetz mehrmals, sodass Betroffene mit schweren Sanktionen belegt oder Organisationen gar aufgelöst wurden. Der Gerichthof führt aus: Diese Vorschriften führen zu Stigmatisierung und Diskriminierung und sind nicht durch ein legitimes Bedürfnis nach Transparenz oder Sicherheit gerechtfertigt. Sie seien unvereinbar mit dem Recht auf Meinungsfreiheit (Artikel 10 EMRK), Vereinigungsfreiheit (Artikel 11 EMRK) sowie dem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Artikel 8 EMRK). Direkte Auswirkungen des Urteils dürften nicht zu erwarten sein, da Russland bereits vor der Beendigung seiner Mitgliedschaft im Europarat im Oktober 2022 (vgl. EiÜ 31/22) die EGMR-Urteile kaum umgesetzt hat.
Urteil stärkt Verbraucherschutz bei vermietetem Eigentum – EuGH
Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 24. Oktober 2024 in der Rechtssache C-347/23 schafft Rechtsklarheit: Auch Personen, die eine Immobilie zur Vermietung erwerben, können als „Verbraucher“ im Sinne der Richtlinie 93/13/EWG angesehen werden. Selbst wenn sie aus der Vermietung Einkünfte erzielen, können sie von den Schutzmechanismen gegen missbräuchliche Vertragsklauseln in Immobilienkreditverträgen profitieren. Ausgangspunkt des Verfahrens war eine Vorlage des Regionalgerichts Warschau. Der EuGH entschied, dass der Begriff „Verbraucher“ weit auszulegen ist. Eine natürliche Person, die eine Immobilie zur Vermietung erwirbt, handelt nicht automatisch gewerblich, selbst wenn sie dadurch Einnahmen erzielt. Entscheidend ist, ob die betreffende Person den Vertrag zu beruflichen oder gewerblichen Zwecken abschließt. Im vorliegenden Fall hatten die Kläger zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses keine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit im Immobilienbereich ausgeübt. Vielmehr verfolgten sie mit der Vermietung das Ziel einer privaten Investition und Vermögenssteigerung, was sie in einer schwächeren Verhandlungsposition gegenüber der Bank belässt. Das Urteil stärkt somit den Schutz von Verbraucher:innen, die Immobilien als Kapitalanlage nutzen und ermöglicht es ihnen, auch bei gewinnorientierter Vermietung unter den Anwendungsbereich der Verbraucherschutzrichtlinien zu fallen.
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