Europa im Überblick, 37/2022

EiÜ 37/2022

Digital Markets Act tritt in Kraft – EP/Rat

Das Gesetz über Digitale Märkte ist nach Veröffentlichung im Amtsblatt am 1. November 2022 in Kraft getreten. Im Gesetzgebungsverfahren war eine Einigung zwischen EU-Parlament und Rat bezüglich der vom Anwendungsbereich der Verordnung erfassten Plattformanbieter (sog. Gatekeeper) erzielt worden (vgl. EiÜ 12/22;  20/22;  01/21). In seiner Stellungnahme Nr. 36/2021 zum ursprünglichen Verordnungsvorschlag der EU-Kommission ist der DAV insbesondere auf das Verhältnis zum Kartellrecht sowie die einzelnen Verpflichtungen der Plattformbetreiber eingegangen. Ab dem 2. Mai 2023 müssen potentielle Gatekeeper der EU-Kommission nun innerhalb einer Frist von zwei Monaten mitteilen, ob ihre Plattform die von der Verordnung vorgesehenen Schwellenwerte überschreitet. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Plattformdienst mindestens 45 Millionen monatliche Endnutzer sowie 10.000 in der Union niedergelassene jährlich aktive gewerbliche Nutzer hat bzw. mind. 7,5 Milliarden Euro Jahresumsatz in den vergangenen drei Geschäftsjahren aufweist. Nach der Mitteilung erfolgen eine Prüfung und Benennung der Plattform als Gatekeeper durch die EU-Kommission. Nach dieser Benennung haben Plattformbetreiber dann sechs Monate Zeit die Anforderungen des Digital Markets Act zu erfüllen.

Berichtsentwurf zur Umweltstrafrechtsrichtlinie veröffentlicht – EP

Das Gesetzgebungsverfahren zur Umweltstrafrechtsrichtlinie schreitet voran. Am 12. Oktober 2022 hat der Rechtsausschuss (JURI) des EU-Parlaments seinen Berichtsentwurf (in Englisch) veröffentlicht. Berichterstatter Antonius Manders (EVP, Niederlande) betont die Notwendigkeit einer effektiven Bekämpfung der Umweltkriminalität mithilfe von strafrechtlichen Sanktionen. Neben den festgesetzten Mindesthöchststrafen für natürliche Personen nach dem Kommissionsvorschlag steht im Berichtsentwurf die Forderung nach erhöhten Geldbußen für juristische Personen. Die Höchstgrenze soll bei 10% des weltweiten Umsatzes in den letzten drei Geschäftsjahren liegen anstelle der 5% des Umsatzes des letzten Geschäftsjahres, wie im Richtlinienvorschlag vorgesehen. Darüber hinaus soll nach dem Verursacherprinzip eine Pflicht zum Ersatz des verursachten Umweltschadens eingeführt werden, sofern dieser irreversibel ist. Im Berichtsentwurf wird an der Gefährdungshaftung im Hinblick auf die Produktverantwortlichkeit festgehalten, aber im Hinblick auf den Gebrauch des Produkts modifiziert. Der DAV hat in seiner Stellungnahme Nr. 52/2022 Kritik an den vorgesehenen Sanktionen und die umsatzbezogene Geldzahlung geäußert (vgl. EiÜ 34/22), da die Richtlinie droht durch solche zwingenden Vorgaben , das Einfallstor für ein Unternehmensumweltstrafrecht zu werden. Bis zum 9. November 2022 können noch Änderungsanträge von den Abgeordneten eingereicht werden.

Grundrechte und Demokratie durch Spähsoftware bedroht – EP

Am 27. Oktober 2022 fand eine Öffentliche Anhörung des Untersuchungsausschusses des Europäischen Parlaments zur Aufarbeitung des Einsatzes von „Pegasus“ und anderer Spähsoftware (PEGA) statt (vgl. EiÜ 15/22). Expert:innen und Abgeordnete befassten sich mit den Auswirkungen von Spähsoftware sowohl auf die Grundrechte als auch auf Demokratie und Wahlprozesse. Aufgrund der Skepsis vieler Teilnehmer:innen hinsichtlich der Erfüllung menschenrechtlicher Schutzstandards bei invasiver Spionagesoftware wurde eine Regulierung der Nutzung und des Marktes auf europäischer Ebene für unerlässlich erklärt. Mindestmaßnahmen wie eine externe Aufsicht und internationale Exportkontrolle sollen anstelle eines vollständigen Verbotes anvisiert werden. Der Zugang zu Rechtsbehelfen in Form der Gerichtsüberprüfung sowie unabhängige Ermittlungen müsse gewährleistet sein. Dies deckt sich mit der Position des Europäischen Datenschutzbeauftragten Wojciech Wiewiórowski, der bereits im Rahmen einer Sitzung im Juni 2022 betont hatte, dass rechtliche Kontrolle unbedingt notwendig sei (vgl. EiÜ 23/22). Der Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses wird im kommenden Jahr erwartet.

Auslieferung an die USA rechtmäßig– EGMR

Am 3. November 2022 stellte die Große Kammer des EGMR in der Entscheidung Sanchez-Sanchez v. the United Kingdom (Beschwerde-Nr. 22854/20; in Englisch) einstimmig fest, dass die Auslieferung eines mexikanischen Staatsbürgers an die USA nicht gegen Artikel 3 EMRK (Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung) verstößt. Der Antragsteller beklagte, dass bei seiner Auslieferung das Risiko entstünde, dass er zu einer nicht reduzierbaren lebenslangen Haftstraße ohne Aussicht auf Bewährung verurteilt und dies gegen Art. 3 EMRK verstoßen würde. Das Gericht argumentierte, der Kläger habe das Risiko einer Verurteilung zur lebenslangen Haftstrafe nicht ausreichend nachgewiesen. Somit entwickelte der EGMR eine abgewandelte Herangehensweise für Auslieferungsfälle an Nicht-Vertragsstaaten, in denen weder ein Schuldspruch noch eine Verurteilung ergangen ist, und eine Verhinderung der Auslieferung auch die Verhinderung eines Gerichtsverfahrens bedeuten würde. Der EGMR hebt mit dem Urteil die aufschiebenden Maßnahmen gegenüber der britischen Regierung auf und macht den Weg für die Auslieferung des Klägers frei.

Unmittelbare Wirkung der Dienstleistungsrichtlinie? – EuGH

Der EuGH war erneut mit der deutschen Honorar- und Architektenordnung (HOAI) und der Dienstleistungsrichtlinie 2006/123/EG befasst. Das Urteil vom 27. Oktober 2022 (Rs. C-544/21) erging im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchen des Landgerichts Mainz, das über Ansprüche aus einem 2004 geschlossenen Architektenvertrag zu entscheiden hatte. Konkret stand hierbei zur Frage, ob die Dienstleistungsrichtlinie 2006/123/EG (in Verbindung mit Art. 4 Abs. 3 EUV, s88 Abs. 3 AEUV und Art. 260 Abs. 1 AEUV) unmittelbare Wirkung entfalten könne, sodass die der Richtlinie entgegenstehende nationale Regelung des § 4 HOAI in der seit 2002 geltenden Fassung unangewendet bleiben müsse. Der EuGH verneinte jedoch die Anwendbarkeit der Richtlinie, da der Vertrag vor dem Inkrafttreten der Richtlinie geschlossen wurde und auch vor dem Ablauf der Umsetzungsfrist für die Umsetzung der Richtlinie alle seine Wirkungen erschöpft hat. Daher gab es keine fortwirkenden Rechtspositionen, die möglicherweise Raum für eine unmittelbare Anwendung der Richtlinie gelassen hätte. In einem ähnlichen Fall hatte der EuGH Anfang des Jahres bereits festgestellt, dass die deutschen Mindestsätze der HOAI (aus dem Jahr 2013) gegen die Dienstleistungsrichtlinie verstoßen (vgl. EiÜ 02/22; 27/19; 10/19) und damit unionsrechtswidrig sind.

Europäischer Haftbefehl nach Verurteilung in Abwesenheit – EuGH

Eine vollstreckende Behörde kann die mit einem Europäischen Haftbefehl beantragte Übergabe zur Vollstreckung der die erste Straftat betreffenden Strafe nicht mit der Begründung verweigern, dass das zweite Verfahren, welches zum Widerruf einer Strafaussetzung auf Bewährung geführt hat, in Abwesenheit durchgeführt wurde. Denn der in Art. 4a Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI zum Europäischen Haftbefehl verwendete Begriff „Verhandlung..., die zu der Entscheidung geführt hat“ sei weit auszulegen, nämlich dass er jeden Verfahrensabschnitt umfasst, der einen maßgeblichen Einfluss auf die Entscheidung über den Entzug der Freiheit einer Person hat. So argumentiert Generalanwältin Tamara Ćapeta in ihren Schlussanträgen vom 27. Oktober 2022 in den verbundenen Rs. C-514/21 und C-515/21. Die Generalanwältin weist ferner darauf hin, dass nur wenn keine der in Art. 4a Abs. 1 geschilderten Fallgestaltungen vorliege, die vollstreckende Behörde die Übergabe verweigern könne. Nach Art. 4a Abs. 1 lit. a bis c ist davon auszugehen, dass die auszuliefernde Person auf ihr Recht auf persönliches Erscheinen im Ausstellungsstaat verzichtet hat und nach lit. d die Möglichkeit einer Wiederaufnahme des Verfahrens nach Übergabe hat. In einem solchen Fall dürfe die vollstreckende Behörde etwaige Verstöße gegen Art. 6 EMRK nicht weiter untersuchen. Die Schlussanträge sind für den EuGH nicht bindend.

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