Europa im Überblick, 37/2023

EiÜ 37/2023

Keine Festlegung von Zahlungsfristen - Vertragsfreiheit erhalten! – DAV

Der DAV hat sich gegen die starre Verkürzung von Zahlungsfristen im Geschäftsverkehr ausgesprochen. In seiner durch den Ausschuss Zivilrecht erarbeiteten Stellungnahme 76/23 lehnt der DAV die durch den Verordnungsvorschlag der EU-Kommission (vgl. bereits EiÜ 30/23) vorgesehene Verkürzung der Zahlungsfrist im unternehmerischen Geschäftsverkehr auf maximal 30 Kalendertage ab. Die unmittelbar in den Mitgliedstaaten anwendbare Verordnung soll an die Stelle der bisher geltenden Zahlungsverzugsrichtlinie 2011/7/EU treten und wird die darin enthaltenen Regelungen (insbesondere Art. 3 Absatz 5 der Richtlinie) inhaltlich verschärfen. Nach Ansicht des DAV enthält der Vorschlag der EU-Kommission keine hinreichende Begründung, gerade auch was die mangelnde Zahlungsdisziplin betrifft. Der Vorschlag ist nach Ansicht des DAV jedenfalls nicht verhältnismäßig und könne durch den vorgesehenen Eingriff in die Vertragsfreiheit der Unternehmen auch zu unerwünschten Preisentwicklungen zuungunsten der Verbraucherinnen und Verbraucher führen. Auch eine Hinwendung zu Lieferanten aus Drittstaaten und damit eine Schwächung der Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen wird befürchtet. Der DAV weist in seiner Stellungnahme ferner darauf hin, dass der Vorschlag Unklarheiten etwa mit Blick auf die vorgesehenen Befugnisse der Durchsetzungsbehörden enthält.

Digitaler Euro: Angemessener Datenschutz erforderlich – EDSA/EDSB

Bei der Einführung des digitalen Euros muss ein angemessener Schutz von Privatsphäre und Daten gewährleistet sein. Dies betonen der Europäische Datenschutzausschuss (EDSA) und der Europäische Datenschutzbeauftragte (EDSB) in der gemeinsamen Stellungnahme vom 18. Oktober 2023, welche von der EU-Kommission angefragt worden war (in Englisch). Mit dem im Juni vorgelegten Verordnungsvorschlag zur Einführung des Digitalen Euro soll die Nutzung des neuen Zahlungsmittels möglich werden. EDSA und EDSB sehen jedoch für das Vorhaben noch Klarstellungsbedarf. Unklar sei, auf welcher Rechtsgrundlage eine Datenverarbeitung erfolgen und welche Arten von Daten erfasst würden. Es fehle an einer eindeutigen Verantwortlichkeitszuweisung zwischen Banken sowie Zahlungsdienstleistern. Zweifel bestehen an der Verhältnismäßigkeit eines zentralisierten Zugangspunktes zu Nutzerdaten. Auch die mangelnde Vorhersehbarkeit bzgl. des Mechanismus zur Betrugsbekämpfung führe zur Rechtsunsicherheit. Empfohlen wird, Online- und Offline-Transaktionen bei geringem Wert von der Nachverfolgung zur Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung auszunehmen. Der DAV hat seinerseits in der Stellungnahme 61/2023 den drohenden exzessiven Datenzugriff und Überwachung des Zahlungsverkehrs kritisiert. Entsprechend einer Forderung des DAV sprechen sich EDSA und EDSB für eine Verpflichtung der Zentralbanken zur Anonymisierung von Transaktionsdaten aus.

Rule of Law Index 2023: Rechtsstaatlichkeit bewegt sich abwärts – WJP

Das Level der Rechtsstaatlichkeit ist weltweilt rückläufig, da sich bei der Mehrheit der erfassten Länder eine Schwächung abzeichnet. Dies geht hervor aus dem Rule of Law Index des World Justice Projects (WJP), eine ursprünglich durch die ABA initiierte unabhängige Organisation. Die Veröffentlichung des diesjährigen Index ist hier nachzusehen. Der Bericht umfasst 142 Länder und Gerichtsbarkeiten und basiert auf 149.000 Haushaltsbefragungen sowie 3.400 Befragungen von Rechtspraktikern und Experten. Die Datenerhebung beruht auf acht Hauptfaktoren: Gesetzesbindung der Exekutive, Abwesenheit von Korruption, transparentes Regierungshandeln, Grundrechte, Ordnung und Sicherheit, Durchsetzung von Rechtsvorschriften, Ziviljustiz und Strafjustiz. Die Menschenrechtslage hat sich wie bereits im Vorjahr in 3 von 4 Ländern verschlechtert, besonders betroffen sind die Versammlungs- und Vereinigungs-, sowie Meinungs- und Religionsfreiheit. Darüber hinaus nimmt die Funktionsschwäche der Justizsysteme zu, insbesondere im Hinblick auf einen einfachen, erschwinglichen und schnellen Zugang zur Justiz. Deutschland steht im Jahresbericht insgesamt an fünfter Stelle hinter Dänemark, Norwegen, Finnland und Schweden. Schlusslichter sind in diesem Jahr, Venezuela, Kambodscha und Afghanistan.

Kodifizierung des Vorrangs des EU-Rechts! – EP

Am 24. Oktober 2023 wurden mehrere Initiativberichte durch den Rechtsausschuss (JURI) und den Ausschuss für konstitutionelle Fragen (AFCO) des EU-Parlamentes angenommen. Die Abgeordneten fordern im ersten der Initiativberichte (2022/2143 (INI) die Kodifizierung des Grundsatzes des Vorrangs des EU-Rechts, der bisher nicht ausdrücklich in den Verträgen, sondern nur im Anhang des Vertrages von Lissabon erwähnt ist (PM). Als Eckpfeiler der EU-Rechtsordnung sei er für das Funktionieren der EU unerlässlich. Auch wenn nationale Gerichte diesen Grundsatz überwiegend respektieren, bestehe eine Gefahr für die Einheitlichkeit des EU-Rechts und den daraus resultierenden einheitlichen Schutz aller EU-Bürger. Ebenfalls wurde vom Rechtsausschuss der Berichtsentwurf „über die Kontrolle der Anwendung des EU-Rechts 2020-2022“ mit Änderungen (abrufbar hier) angenommen sowie der Bericht „Bessere Rechtsetzung 2020-2022“ (mit Änderungsanträgen) angenommen. In Ersterem fordern die Abgeordneten die EU-Kommission u.a. auf, den Zeitrahmen für Vertragsverletzungsverfahren festzulegen, da derartige Verfahren eingeleitet, aber häufig nicht vor den Gerichtshof gebracht werden. Im Bericht zur „Besseren Rechtsetzung“ fordern die Abgeordneten mehr Zusammenarbeit der Kommission mit dem Parlament bei der prälegislativen Prüfung von EU-Gesetzesentwürfen. Diese Berichte sollen mehr Kontrolle darüber schaffen, wie EU-Recht geschaffen und durchgesetzt wird (PM). Die finale Abstimmung im Parlament wird für Ende November erwartet.

Mehr Anreize zur Entscheidung für eine Reparatur von Waren – EP

Der Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz (IMCO) des EU-Parlaments hat am 25. Oktober 2023 den Bericht zum Richtlinienvorschlag der EU-Kommission zur Förderung der Reparatur von Waren angenommen (bisher in Englisch). Vorgesehen sind auch über die gesetzliche Garantie hinaus bestehende Rechte (s. EiÜ 11/23). Hersteller und Verkäufer unterliegen danach einer reparaturpflichtbezogenen Informationspflicht gegenüber den Verbrauchern. Nach dem Bericht erfolgt die Bereitstellung des europäischen Formulars für Reparaturinformationen auf freiwilliger anstelle obligatorischer Basis. Hinsichtlich der Herstellerpflicht zur Reparatur hatte der DAV die nicht eindeutigen Vorschriften kritisiert (vgl. SN 28/2023; EiÜ 18/23). Die Klarstellung, die Pflicht bestehe nicht bei faktischer oder rechtlicher Unmöglichkeit ist daher zu begrüßen. Ebenso wird deutlich, dass sich der Hersteller der Pflicht nicht allein durch die Berufung auf den Kostenaufwand entziehen kann. Entscheidet sich ein Verbraucher für die Reparatur als Form der Nachbesserung, kann er diese direkt beim Hersteller anfragen. Abweichend vom Grundsatz der Wahlfreiheit soll, sofern die Kosten für die Ersatzlieferung mindestens den Reparaturkosten entsprechen, die Reparatur vorrangig sein. Hierbei bestehen Ausnahmen, wenn die Reparatur unmöglich oder mit erheblichen Nachteilen für den Verbraucher verbunden ist. Im Rat dauert die Positionierung zu dem Gesetzgebungsvorschlag noch an.

Viel Bewegung im Bereich CSR – KOM/EP

Am 17. Oktober 2023 nahm die EU-Kommission den Entwurf einer delegierten Richtlinie zur Anhebung der Schwellenwerte in der Rechnungslegungsrichtlinie für die Anwendung der CSRD an. Ziel ist die seit 2013 unveränderten Schwellenwerte für die Bestimmung der Größenkategorien eines Unternehmens zu ändern, um den Auswirkungen der Inflation Rechnung zu tragen. Damit sind Kleinstunternehmen sowie kleine und mittlere Unternehmen von den zahlreichen EU-Bestimmungen über die Finanz- und Nachhaltigkeitsberichterstattung, die für größere Unternehmen gelten, ausgenommen. Zudem legte die EU-Kommission einen Beschlussvorschlag vor, der das für 2024 geplante zweite Paket der branchenspezifischen Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung (ESRS) um zwei Jahre, d.h. auf Mitte 2026, verschiebt. Diesen Vorschlag stellt die Kommission bis Mitte Dezember öffentlich zur Diskussion. Damit sollen effizientere sektorspezifische Standards erarbeitet werden können, um die Berichtspflichten auf ein Minimum zu beschränken. Schließlich lehnte das Europäische Parlament am 18. Oktober 2023 eine Initiative von 44 Abgeordneten ab, die auf eine Generalrevision des ersten Pakets der ESRS abzielte. Die Parlamentarier kritisierten mit ihrem Vorstoß den erheblichen bürokratischen Aufwand der Berichtsstandards. Mit Ablauf der Einspruchsfrist für Parlament und Rat am 21. Oktober 2023 ist das erste Paket der ESRS final angenommen und belegt aufgrund seiner schrittweisen Einführung die ersten Unternehmen bereits ab dem Geschäftsjahr 2024 mit Berichtspflichten.

Geänderte Verfahrensordnung: Behandlung hochsensibler Dokumente – EGMR

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat am 30. Oktober 2023 die neue Fassung seiner Verfahrensordnung (VerfO in Englisch verfügbar) veröffentlicht (vgl. PM). Die nun in Kraft getretenen Änderungen betreffen die Einführung eines Regelungsregimes zur besonderen Behandlung hochsensibler Dokumente (Art. 44F VerfO). Ist ein Vertragsstaat der EMRK der Ansicht, dass die Offenlegung eines Dokuments Interessen der nationalen Sicherheit beeinträchtigen würde, kann er das Absehen von der Offenlegung beantragen. Diese Möglichkeit steht auch dem Beschwerdeführer zu, aus dessen Sicht ein sonstiges, gleich zwingendes Interesse beeinträchtigt würde. Untersucht wird der Antrag von einem Ausschuss, der sich aus drei Richter:innen zusammensetzt, welche nicht der in der Sache entscheidenden Kammer angehören. Zur Berücksichtigung der Parteieninteressen sollen kooperative Maßnahmen vorrangig getroffen werden. Sieht die Kammer das Dokument für die Entscheidung als unabdingbar an, kann sie die enthaltenen sensiblen Informationen berücksichtigen, wobei sie keine nachteiligen Schlussfolgerungen aus dem Umstand ziehen soll. Weiterhin wurde der in Art. 33 VerfO statuierte Grundsatz zur öffentlichen Zugänglichkeit angepasst, sodass eine Ausnahme für Dokumente unter Art. 44F VerfO gilt.

Unzulässige richterliche Amtszeitbegrenzung in Polen – EGMR

Der EGMR hat am 24. Oktober 2023 ein weiteres Urteil im Zusammenhang mit der Justizreform in Polen gefällt (Pajak and Others v. Poland, 25226/18). Vier polnische Richterinnen hatten sich gegen ihr Ausscheiden aus dem Dienst aufgrund des durch die Justizreform abgesenkten Pensionseintrittsalters an den EGMR gewendet - die Amtszeit für die polnische Richterschaft war von den einheitlichen 67 Jahren auf 60 Jahre für Frauen und 65 Jahre für Männer abgesenkt worden, eine Fortführung des Amtes sollte von einer Entscheidung des Justizministers und des Nationalen Justizrates (NJR) abhängen. Der EGMR stellte in dem Verfahren eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren nach Art. 6 EMRK fest sowie das Vorliegen einer unzulässigen Diskriminierung auf Grund des Geschlechts (Verletzung von Art. 14 EMRK i.V.m. Art. 8 EMRK). Zum Einen hatte es faktisch keine Möglichkeit gegeben, die Entscheidung der Exekutive im Inland von einem unabhängigen Gericht überprüfen zu lassen. Nur durch eine richterliche Kontrolle können Richter:innen vor Eingriffen der Legislative und Exekutive in ihre Amtsführung aber effektiv geschützt werden. Die gegenüber den Antragstellerinnen gefällten Entscheidungen des Justizministers und des NJR stellten nach dem EGMR einen ungesetzmäßigen und willkürlichen Eingriff in deren richterliche Unabhängigkeit dar. Polen war bereits durch EuGH in einem Vertragsverletzungsverfahren wegen des fraglichen Gesetzes verurteilt worden, vgl. C-192/18.

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