EiÜ 38/24
Anhörung von Justiz- und Innenkommissar: keine Überraschungen – KOM/EP
Der Rechtsstaatsbericht wird einen jährlichen Rhythmus beibehalten. Dies bestätigte der designierte Justizkommissar Michael McGrath bei seiner Anhörung (s. auch die Verschriftlichung) vor den Ausschüssen LIBE (Inneres und Bürgerliche Freiheiten), IMCO (Binnenmarkt und Verbraucherschutz) und JURI (Rechtsausschuss) am 05. November 2024 und kündigte zudem an, das Rechtsstaats-Instrumentarium effektiv anzuwenden. Die Europäische Staatsanwaltschaft benötige ein weiteres Betätigungsfeld u.a. auch hinsichtlich grenzüberschreitender Korruption. Sollten die Mitgliedstaaten auf Empfehlung der EU-Kommission bei Umsetzung der Richtlinie zur Gewalt gegen Frauen nicht auch beim Vergewaltigungstatbestand das konsensbasierte Modell einführen („ja heißt ja“) werde er in der Zukunft eine Überarbeitung der Richtlinie erwägen. Insgesamt solle die Stellung von Opfern in der Justiz deutlich gestärkt werden. Im Wirtschafts- und Gesellschaftsrecht will er mit einem neuen „28. Regime“ die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen fördern. Der designierte Innenkommissar Magnus Brunner sprach sich sowohl für die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung auf EU-Ebene aus als auch für „Return-Hubs“ außerhalb der EU für Personen, deren Asylantrag abgelehnt wurde und die aufgrund eines Rückführungsbescheides ausreisepflichtig sind. Beide Kommissarsanwärter dürften die Probe bestanden haben, sodass von einer positiven Empfehlung durch die Präsidentenkonferenz auszugehen ist.
Verordnung zur Übertragung von Strafverfahren endgültig angenommen – Rat
Am Dienstag, den 5. November 2024 nahm der Rat der Europäischen Union förmlich die Verordnung zur Übertragung von Strafverfahren an, die zuvor im Trilog ausgearbeitet und bereits vom Europäischen Parlament angenommen wurde (vgl. EiÜ 16/24). Die Verordnung bezweckt insb. die Vermeidung paralleler Strafprozesse derselben Verdächtigen in mehreren Mitgliedstaaten. Kriterien für die Zuständigkeitsentscheidung sind der Tatort, der Wohnsitz und Aufenthaltsort, sowie die Staatsangehörigkeit der verdächtigten oder beschuldigten Person. Einbezogen wird auch der Wohnsitz der meisten relevanten Zeugen. Gegen die Übertragung dürfen die verdächtigten oder beschuldigten Personen eine Stellungnahme abgeben. Steht das nationale Recht des ersuchten Staates einer Strafverfolgung entgegen, kann die Behörde die Übertragung des Strafverfahrens ablehnen. Der DAV befürwortet eine einheitliche Regelung dieses Bereichs, vgl. DAV-SN 41/23. Die Beschuldigtenrechte sind allerdings aus Sicht des DAV nicht ausreichend verankert, u.a. weil die Beschuldigten nicht selbst eine Übertragung beantragen können. Am 20. Tag nach Veröffentlichung im Amtsblatt der EU tritt die Verordnung in Kraft.
Beihilfe zur unerlaubten Einreise aus humanitären Gründen – EuGH
Der Generalanwalt beim EuGH Richard de la Tour hat sich in seinen Schlussanträgen vom 7. November 2024 zur Gültigkeit der bestehenden Richtlinie zur Definition der Beihilfe zur unerlaubten Einreise und zum unerlaubten Aufenthalt geäußert (Rs. C-460/23). Zur Frage stand, ob die Richtlinie mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz aus Art. 52 Abs. der EU-Grundrechtecharta iVm. dem Recht auf persönliche Freiheit (Art. 6) und weiteren Artikeln vereinbar ist, obwohl die Richtlinie 2002/90/EG es in das Belieben der Mitgliedstaaten stellte, Handlungen von der Strafbarkeit auszunehmen, die aus humanitären Gründen gegenüber Drittstaatsangehörigen erbracht werden. Zwar sieht der Generalanwalt die bisherige Regelung unter dem Gesichtspunkt des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit und der Verhältnismäßigkeit im Zusammenhang mit Straftaten und Strafen (Art. 49 Grundrechtecharta) als rechtmäßig an. Allerdings hebt er (anlässlich der aus Italien stammenden Vorlagefrage) hervor, dass die Gerichte differenzieren können müssen zwischen der Strafbarkeit einer Person, die aus Menschlichkeit oder einer Notlage heraus gehandelt hat und einer Person, die mit rechtswidriger Gewinnabsicht handelt. Die Schlussanträge und das in wenigen Monaten folgende Urteil des Gerichtshofs dürften auch Signalwirkung für den im November 2023 veröffentlichten Richtlinienvorschlag zur Bekämpfung der Schleuserkriminalität haben, der nicht einmal eine fakultative humanitäre Klausel (etwa für die Rechtsberatung) vorsieht (dazu EiÜ 9/24; 41/23 und DAV-SN 14/24).
Zweifel an Unabhängigkeit eines polnischen Richters – EuGH
Ein vom polnischen Obersten Gericht in Einzelrichterbesetzung eingereichtes Vorabentscheidungsersuchen wurde vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) am 7. November 2024 als unzulässig zurückgewiesen (Rs. C-326/23). Der EuGH begründete, dass der Spruchkörper des polnischen Gerichts aufgrund systemischer Mängel im Ernennungsverfahren des Richters nicht als „unabhängig und unparteiisch“ gelten könne und verweist insbesondere auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (vgl. Rs. D.-F. und O./Polen, abrufbar auf Englisch). Im Mittelpunkt der EuGH-Entscheidung stehen Art. 19 EUV und Art. 47 der EU-Grundrechtecharta, die von den Mitgliedstaaten verlangen, unabhängige und unparteiische Gerichte zu garantieren. Der betroffene Richter wurde von Polens Präsidenten auf Empfehlung des KRS (Landesjustizrats) ernannt – einer Institution, deren Zusammensetzung seit den sogenannten Justizreformen engste Verbindungen zur Regierung aufwies. Bereits in früheren Urteilen des EuGH (vgl. Rs. C-718/21) wurde die problematische Rolle der KRS und der Einfluss der polnischen Regierung auf die Ernennung der Richter scharf kritisiert, vgl. auch EiÜ 5/22. Der EuGH erklärte die Anfrage des Einzelrichters aufgrund mangelnder Unabhängigkeit als unzulässig, da dies das Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit beeinträchtigen könnte. Für Polen dürfte dies weiteren Reformdruck und die Notwendigkeit zur Anpassung des Justizsystems an die EU-Anforderungen mit sich bringen.
Mehrwertsteuerreform: Staaten erzielen allgemeine Ausrichtung – Rat
Der Rat der Europäischen Union hat am Montag, den 5. November 2024, seine allgemeine Ausrichtung zu einem von der EU-Kommission im Dezember 2022 vorgelegten Maßnahmenpaket zur Anpassung des Mehrwertsteuerrechts an das digitale Zeitalter vorgelegt, vgl. PM. Das Paket besteht aus drei Gesetzgebungsvorschlägen (abrufbar hier, hier und hier), mit denen v.a. die Mehrwertsteuerrichtlinie (2006/112/EG) und die Verordnung über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden (904/2010) geändert werden (vgl. bereits EiÜ 43/22). Der Rat hat sich auf ein digitales Echtzeit-Umsatzsteuermeldesystem auf Grundlage elektronischer Rechnungsstellung auf Basis der elektronischen Rechnung für Unternehmen, die grenzüberschreitend in der EU tätig sind, geeinigt. Ziel ist die Begrenzung von Steuerbetrug, der bislang aufgrund unvollständiger und zeitversetzter Übermittlung einfacher möglich war. Mehrwertsteuerpflichtige Firmen sollen ab 2025 bei Umsätzen im Inland E-Rechnungen empfangen können. Zudem sollen Online-Plattformen in den Bereichen Personenbeförderung und Kurzzeitvermietung von Unterkünften künftig die Mehrwertsteuer direkt vom Kunden erheben und an die Steuerbehörden abführen. Dieses System soll 2030 einsatzbereit sein. Schließlich sieht das Paket die Einführung einer einzigen EU-weiten Mehrwertsteuerregistrierung vor. Das EU-Parlament kann sich nun erneut zu den Änderungen des Rates äußern, bevor der Rat das Paket annimmt und es nach Veröffentlichung im EU-Amtsblatt in Kraft tritt.
Bosnien-Herzegowina wegen Defizit beim Berufsgeheimnis verurteilt – EGMR
Mit Urteil vom 5. November 2024 rügte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) unzureichende Schutzvorkehrungen im nationalen bosnisch-herzegowinischen Recht zum Schutz beschlagnahmter Daten auf dem Mobiltelefon eines Rechtsanwalts (Rs. 4088/21, auf Englisch abrufbar). Konkret ging es um die Beschlagnahme und Durchsuchung des Mobiltelefons eines Anwalts im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen gegen ihn. Das Mobiltelefon war in seinem Büro beschlagnahmt, der gesamte Inhalt kopiert, übertragen und an einem anderen Ort, ohne Beisein des Anwalts oder eines Mitglieds der Anwaltskammer durchsucht worden. Trotzdem wurde der gesamte Inhalt des Mobiltelefons als Beweismittel in der Verhandlung verwendet, nicht lediglich die für den Fall entscheidenden Daten. Der EGMR stellte fest, dass das nationale Recht Bosnien und Herzegowinas zwar grundsätzlich Verfahrensgarantien für Durchsuchungen und Beschlagnahmen in Anwaltskanzleien vorsehe, in der Praxis der Schutz des Berufsgeheimnisses jedoch nicht gewährleistet werde und umfassende rechtliche Schutzlücken bestehen. Der Gerichtshof sah in der Vorgehensweise der Behörden einen Verstoß gegen das Recht auf eine geschützte Korrespondenz aus Artikel 8 Absatz 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Das Urteil ist rechtskräftig.
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