EiÜ 39/2023
Qualifikationsanerkennung von Drittstaatsangehörigen vereinfachen – KOM
Die Europäische Kommission hat am 15. November 2023 ein Paket zur Kompetenz- und Fachkräftemobilität vorgestellt (vgl. PM). Darin enthalten: eine Empfehlung zur vereinfachten Anerkennung von Qualifikationen von Kompetenzen, die in Nicht-EU-Ländern erworben wurden. Demnach sollen die Mitgliedstaaten die Anerkennung der Berufsqualifikationen von Drittstaatsangehörigen erleichtern, indem sie die Verfahren vereinfachen und sie stärker an den in der Richtlinie 2005/36/EG über die Anerkennung von Berufsqualifikationen festgelegten Verfahren orientieren. Kapitel Vier der Empfehlungen richtet sich hierzu an die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten und sieht vor, dass Berufsqualifikationsnachweise anerkannt werden sollen, sofern der Drittstaatsangehörige eine 3-jährige Berufsausübung in einem anderen Mitgliedstaat vorweisen kann, der zuvor bereits die Drittstaatsqualifikation auf Grundlage von Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie anerkannt hat. Ferner soll es Drittstaatsangehörigen ebenfalls zur Wahl stehen, einen Eignungstest oder aber einen (höchstens dreijährigen) Anpassungslehrgang zu wählen. Die Entscheidung über einen Anerkennungsantrag soll innerhalb von 2 Monaten nach vollständiger Antragstellunggetroffen werden. Die EU-Kommission will die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Empfehlung unterstützen und sie auffordern, über nationale Initiativen, Reformen, bewährte Verfahren und Statistiken zu berichten.
Absage an Chatkontrolle: Jetzt ist der Rat am Zug – EP
Der Ausschuss für Bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE) des Europäischen Parlaments hat am 14. November 2023 den bereits am 26. Oktober 2023 erzielten Kompromiss zur Chatkontrolle-Verordnung (vgl. EiÜ 36/23) bestätigt. Er zeigt damit: Das EU-Parlament unterstützt den grundrechtswidrigen Verordnungsvorschlag zur verdachtsunabhängigen Massenüberwachung unter dem Deckmantel des Kinderschutzes vor sexuellem Missbrauch nicht. Konkret sollen Aufdeckungsanordnungen zu Kommunikationsinhalten nur noch auf Verdacht ergehen können. Ende zu Ende-Verschlüsselung darf dabei nicht umgangen werden. Stattdessen sollen Anbieter Missbrauchsmaterial, auf welches sie aufmerksam werden, sofort löschen müssen und auch Strafermittler sofort die Löschung in Auftrag geben. Apps und Kommunikationsdienste sollen sicher voreingestellt sein und Nutzer blockiert werden können. In der kommenden Woche entscheidet sich, ob das Plenum des EU-Parlaments noch zustimmen muss oder – wahrscheinlicher – das Parlament sofort für den Trilog bereit steht. Der DAV begrüßt die erzielte Einigung (vgl. DAV-PM, Stellungnahme 32/2023) und ruft den Rat nun auf, sich der Position des EU-Parlaments anzuschließen.
Rechtsstaatlichkeitsbericht: Einbeziehung der EU-Institutionen? – EP
Berichterstatterin Sophia in’t Veld (Renew Europe) hat kürzlich den Entwurf des Initiativberichts des EU-Parlaments zum Rechtsstaatlichkeitsbericht der EU-Kommission 2023 vorgestellt, abrufbar hier. Bis zum 21. November 2023 können die anderen Mitglieder des Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE) noch Änderungsanträge dazu vorlegen. Mit Blick auf die Korruptionsbekämpfung ruft das Europäische Parlament dazu auf, auch die EU-Institutionen im Rechtsstaatlichkeitsbericht in den Blick zu nehmen (siehe zum Rechtsstaatlichkeitsbericht 2023 EiÜ 26/23 sowie DAV-SN 4/23). Im Zusammenhang mit Schutzmaßnahmen gegenüber Journalisten werden die EU-Gesetzgeber zur Annahme einer substanziellen Anti-SLAPP-Richtlinie aufgerufen und die EU-Kommission aufgefordert, weitere gesetzgeberische Schritte zu prüfen; zugleich kritisiert der Bericht den unzulässigen Einsatz von Überwachungssoftware gegenüber Anwält:innen und Journalist:innen und deren oftmals fehlende staatliche Ahnung. Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sowie des EuGH würden seitens einiger Mitgliedstaaten zu oft nicht richtig umgesetzt. In dem Bericht wird Bedauern darüber geäußert, dass die EU-Kommission und der Rat einer interinstitutionellen Vereinbarung zur Rechtsstaatlichkeit bisher nicht zugestimmt haben sowie darüber, dass in den laufenden Art. 7 EUV-Verfahren gegen Polen und Ungarn keine Fortschritte erzielt werden.
Europäischer Abend in Brüssel – DAV
In Brüssel fand am Mittwoch, den 15. November 2023, der alljährliche Europäische Abend des DAV statt. Neben hochrangigen Vertreter:innen der EU-Institutionen war als Ehrengast und Redner Herr Prof. Dr. Clemens Ladenburger, Direktor des Juristischen Dienstes der EU-Kommission, anwesend. Er gewährte den Gästen einen Einblick in die Arbeit des Legal Service und berichtete über die angestrebte EuGH-Reform, die zur Entlastung des Gerichtshofs eine Zuständigkeitsverlagerung auf das Gericht der Europäischen Union (EuG) vorsieht. DAV-Vizepräsident Stefan von Raumer rief in seiner Rede zu mehr Einsatz für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in diesen unsicheren und von Konflikten geprägten Zeiten auf und ging -auch mit Blick auf die im Juni 2024 anstehenden EU-Wahlen- auf anwaltlich relevante Themen, wie biometrische Massenüberwachungssysteme und damit einhergehende massive Eingriffe in Grundrechte von Bürgerinnen und Bürgern ein.
Stärkung der Subsidiarität – CCBE/ELF
Der Rat der Europäischen Anwaltschaften (CCBE) veranstaltet am 4. Dezember 2023 in Zusammenarbeit mit der European Lawyers Foundation (ELF) ein Webinar zum Thema „The European Court of Human Rights: Case-law application at national level - How to enhance subsidiarity“. Als Sprecher wird DAV Vize-Präsident und Vorsitzender des Menschenrechtsausschusses des CCBE Stefan von Raumer anwesend sein. Zudem stellt der CCBE seine aktualisierten Leitlinien zur anwaltlichen Vertretung vor dem EGMR vor. Mit Blick auf die Stärkung des Prinzips der Subsidiarität, wird die Plattform des EGMR zum Wissensaustausch ECHR-KS vorgestellt und über die nationale Umsetzung von EGMR-Rechtsprechung berichtet werden. Eine kostenfreie Anmeldung ist bis zum 3. Dezember 2023 möglich. Weitere Informationen hier.
Vorläufige Einigung zur Richtlinie gegen Umweltstraftaten – Rat/EP
Die Co-Gesetzgeber Rat und EU-Parlament haben am 16. November 2023 eine vorläufige Einigung zur Richtlinie über Umweltstraftaten erzielt, vgl. Pressemitteilung. Der Richtlinienentwurf zielt darauf ab, Mindestvorschriften für die Definition von Straftaten und Sanktionen festzulegen, um einen besseren Umweltschutz zu gewährleisten, vgl. bereits EiÜ 11/23. Nach der nun gefundenen, aber noch unveröffentlichten Einigung sollen die Zahl der Umweltstraftatbestände von neun auf 18 erhöht und die vorgesehenen Sanktionen verschärft werden (als schärfste Sanktion gegenüber einem Unternehmen etwa die Zahlung einer Geldbuße in Höhe des Äquivalents von 5 % des weltweiten Jahresumsatzes). Der DAV hatte in seiner Stellungnahme Nr. 52/2022 Kritik an den vorgesehenen Sanktionen und der umsatzbezogenen Geldzahlung geäußert (vgl. EiÜ 34/22), da die Richtlinie einen ersten Schritt in Richtung Unternehmens(umwelt)strafrecht bedeute. Die nun gefundene Einigung muss noch durch die Co-Gesetzgeber förmlich bestätigt werden.
Die Digitale Brieftasche kommt – EP/Rat
Die europäischen Co-Gesetzgeber einigten sich am 8. November 2023 abschließend über die Einführung einer digitalen Brieftasche, der sog. „EUid-Brieftasche“ (vgl. PM). Damit wurden die Ergebnisse der vorläufigen Einigung vom 29. Juni 2023 über einen Rechtsrahmen für eine digitale Identität der EU abgeschlossen. Die Einigung ist ein wichtiger Schritt zu den Zielen der Digitalen Dekade 2030 für die Digitalisierung der öffentlichen Dienste. Alle EU-Bürger:innen sollen hierdurch die Möglichkeit haben, die digitale EU-Identitätskarte zu verwenden, um öffentliche und private Online-Dienste in ganz Europa sicher und unter Berücksichtigung von datenschutzrechtlichen Vorschriften zu nutzen. Unter anderem können persönliche Dokumente, wie ein digitaler Führerschein oder ein ärztliches Rezept aufbewahrt und ein Bankkonto eröffnet werden. Auch große Online-Dienste werden verpflichtet, den Identitätsnachweis zur Authentifizierung zu akzeptieren. Die erzielte Einigung muss nun von EU-Parlament und Rat formell angenommen werden. Danach tritt die Verordnung am 20. Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der EU in Kraft. Die Mitgliedsstaaten sind sodann verpflichtet, ihren Bürger:Innen die Funktion innerhalb von 24 Monaten nach Verabschiedung des Durchführungsrechtsakts, der sechs bis 12 Monate nach Annahme der Verordnung erlassen werden soll, zur Verfügung zu stellen.
Verbraucherhinweis auch bei nur bedingter Zahlungspflicht – EuGH
Der Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofs Pitruzzella hat sich am 14. November 2023 in seinen Schlussanträgen zu dem Erfordernis geäußert, Verbraucher bei einem Fernabsatzvertragsschluss auf ihre Zahlungspflicht hinzuweisen, Rs. C-400/22. Das Landgericht Berlin hatte den EuGH mit einer Frage zur Auslegung von § 312j BGB (Pflichten im elektronischen Rechtsverkehr gegenüber Verbrauchern) und deren Vereinbarkeit mit der Verbraucherrechterichtlinie 2011/83/EU befasst. Zur Frage stand, ob der Anwendungsbereich der Richtlinie auch dann eröffnet sei, wenn der Verbraucher dem Unternehmer etwa nur für den Erfolgsfall einer später beauftragten Rechtsverfolgung oder im Falle der späteren Versendung einer Mahnung an einen Dritten zur Zahlung verpflichtet sei. Eine Schaltfläche zum Vertragsschluss muss nach dem EuGH die Zahlungsverpflichtung der Verbraucher:innen auch dann klar erkennen lassen, wenn die Zahlungsverpflichtung vom Eintritt eines zukünftigen Ereignis abhängt, das außerhalb des Einflussbereichs des Verbrauchers liegt. Dies gelte unter der Voraussetzung, dass es keinen späteren Zeitpunkt mehr gibt, zu dem der Verbraucher seine Zustimmung zu der Zahlungsverpflichtung ausdrücken kann.
Unzulässiges Abhören von Gesprächen zwischen Anwalt und Mandant – EGMR
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat sich in seinem Urteil vom 14. November 2023 zur Vertraulichkeit der Kommunikation zwischen Anwalt und Mandant geäußert, Beschwerde-Nr. 24074/19 u.a. In dem Fall waren bei den Gesprächen der Beschwerdeführer mit ihren Anwälten ein Polizeibeamter anwesend bzw. sind die Gespräche aufgezeichnet worden. Dies geschah auf Grundlage eines nach dem Putschversuch im Jahre 2016 erlassenen Notstandsdekrets der türkischen Regierung. Der EGMR stellte erneut klar, dass die Kommunikation zwischen Anwalt und Mandant gerade auch im Falle von Inhaftierung geschützt sei und stellte in dem Falle eine Verletzung von Art. 8 der EMRK (Achtung des Privat- und Familienlebens) fest, da die angegebene Rechtsgrundlage die Anforderungen an den Gesetzesvorbehalt in Art. 8 Abs. 2 EMRK nicht erfüllte. Der EGMR erinnert in seinem Urteil daran, dass das Privileg der Korrespondenz zwischen Häftlingen und ihren Anwälten ein Grundrecht des Einzelnen darstellt und unmittelbar die Rechte der Verteidigung berührt. Der Gerichtshof habe daher bereits entschieden, dass von dieser grundlegenden Regel der Wahrung der Vertraulichkeit zwischen Anwalt und Mandant nur in engen Ausnahmefällen und unter der Voraussetzung abgewichen werden darf, dass angemessene und ausreichende Garantien gegen Missbrauch bestehen.
Kommentare