Europa im Überblick, 4/19

EiÜ 4/19

 Neue Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland – KOM

Die EU-Kommission hat am 24. Januar 2019 Vertragsverletzungsverfahren gegen 27 Mitgliedsstaaten (alle außer Dänemark) wegen nicht-ordnungsgemäßer Umsetzung der Richtlinie über die Anerkennung von Berufsqualifikationen 2013/55/EU eingeleitet und hierzu entsprechende Aufforderungsschreiben verschickt (s. Pressemitteilung). Die Mitgliedsstaaten haben nun zwei Monate Zeit, hierauf zu reagieren, ansonsten kann die EU-Kommission weitere Schritte einleiten. Speziell an Kroatien wurde ein ergänzendes Aufforderungsschreiben versandt wegen Verstößen gegen die anwaltliche Dienstleistungsrichtlinie 98/5/EG sowie die Dienstleistungsrichtlinie 2006/123/EG durch Beschränkungen für Rechtsanwälte im Recht auf Berufsausübung, Werbebeschränkungen und bei multidisziplinaren Diensten. Eine weitere Entscheidung gegen Deutschland betrifft die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens wegen mangelhafter Umsetzung der vierten Anti-Geldwäsche-Richtlinie (EU) 2015/849 in nationales Recht (s. Pressemitteilung).

Praxisleitfaden für Verfahren vor dem EGMR – CCBE

Was müssen Rechtsanwälte beachten, wenn sie einen Fall vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) bringen möchten? Diese und weitere Fragen beantwortet der Rat der Europäischen Anwaltschaften (CCBE) in der neuesten Ausgabe des Praxisleitfadens zum EGMR (auf Englisch/Französisch verfügbar). In dem Leitfaden wird darauf eingegangen, welche Voraussetzungen vorliegen müssen, bevor eine Beschwerde zum EGMR eingereicht werden kann. Unter anderem geht es darum, zu welchem Zeitpunkt Verletzungen von Menschenrechten in innerstaatlichen Verfahren geltend gemacht werden können und wie man sich im nationalen Verfahren auf die Rechtsprechung des EGMR berufen kann. Ferner beinhaltet der Leitfaden Erläuterungen zu dem Verfahrensablauf vor dem EGMR. Unter anderem wird dargelegt, welche Fristen und Formalien für die Einlegung einer Beschwerde eingehalten werden müssen, in welchen Fällen eine mündliche Verhandlung stattfindet und ob der Beschwerdeführer Prozesskostenhilfe beantragen kann. Darüber hinaus werden auch Fragen zum Inhalt, zur Vollstreckung und zu Rechtsmitteln gegen Urteile des EGMR beantwortet. Dabei wird auch auf das Verhältnis zwischen nationalen Entscheidungen und EGMR-Urteilen eingegangen.

Vorläufige Einigung zu digitalen Inhalten – EP/Rat

Die EU ist ihrem Ziel der Stärkung des Verbraucherschutzes im digitalen Vertragsrecht wieder ein Stück näher gekommen. Rat und EU-Parlament erzielten am 22. Januar 2019 eine provisorische Einigung über den Richtlinienvorschlag zu digitalen Inhalten (finaler Text liegt noch nicht vor; s. Pressemitteilung), mit dem die

Vertragsmäßigkeit digitaler Inhalte und die Abhilfe bei nicht vertragsmäßigen Inhalten geregelt werden soll. Die Trilogverhandlungen haben über ein Jahr gedauert, auch weil dieses Dossier inhaltlich mit dem Richtlinienvorschlag zum Warenhandel abgestimmt sein sollte (s. EiÜ 44/18). Das ist auch weiterhin Bedingung für eine finale Einigung. Beide Seiten konnten sich nun darauf verständigen, Art. 16 über die Beendigung langfristiger Verträge zu streichen, um entsprechende Regelungen hierzu vollständig den Mitgliedstaaten zu überlassen. Für die Umsetzung sollen die Mitgliedstaaten zwei Jahre und sechs Monate Zeit haben. Es wurde sich auch darauf geeinigt, dass neben Käufern auch Nutzer, die ihre Gegenleistung in Form von Daten erbringen, geschützt sein sollen. Dem steht der DAV aus datenschutzrechtlichen Gründen immer noch skeptisch gegenüber (s. Stellungnahme Nr. 90/2016). Wenn ein digitaler Inhalt mangelhaft ist und keine Abhilfe geschaffen werden kann, soll der Verbraucher eine vollständige oder teilweise Preiserstattung innerhalb von 14 Tagen erhalten. Die Beweislastumkehr für den Beweis eines Mangels zugunsten des Verbrauchers soll ein Jahr betragen und die Gewährleistungsfrist darf nicht kürzer als zwei Jahre sein. Bei fortlaufenden Bereitstellungen werden die Beweislast und die Gewährleistungsfrist während der Vertragsdauer beim Anbieter liegen.

Einigung zu präventiven Restrukturierungsmaßnahmen bestätigt – EP

Nachdem Rat und EU-Parlament Ende Dezember 2019 bereits eine vorläufige Einigung im Trilog zum Richtlinienvorschlag über präventive Restrukturierungsrahmen, die zweite Chance und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren erzielen konnten (s. EiÜ 45/18), bestätigte diese der Rechtsausschuss (JURI) des EU-Parlaments am 23. Januar 2019 mit 16 zu 0 Stimmen bei 7 Enthaltungen auch formell. Die Einigung muss nun noch durch das Plenum des EU-Parlaments und den Rat angenommen werden.

Mindestverjährungsfristen für grenzüberschreitende Kfz-Unfälle – EP

Bei Kfz-Unfällen mit grenzübergreifendem Bezug soll in Zukunft eine europaweit einheitliche Mindestverjährungsfrist gelten. So fordert es der Binnenmarktausschuss (IMCO) des EU-Parlaments in seinem am 22. Januar 2019 mit deutlicher Mehrheit angenommenen Bericht zur Revision der Kfz-Haftpflichtrichtlinie COM(2018) 336. Alle Kompromissänderungsanträge wurden dabei angenommen (finaler Text liegt noch nicht vor). Das EU-Parlament folgt in seinem Bericht damit dem Ansatz der EU-Kommission, ein Entschädigungssystem im Falle der Insolvenz des Versicherers des Unfallverursachers zu schaffen. Der DAV hatte in seiner Stellungnahme Nr. 36/2018 zu dem Richtlinienvorschlag (s. EiÜ 29/18) ausdrücklich begrüßt, dass hierdurch eine wichtige Rechtslücke geschlossen wird. Im Bericht werden nun genauere Regeln zum Verfahren der Koordinierung zwischen den Entschädigungsstellen in unterschiedlichen Mitgliedsstaaten festgelegt. Der Ausschuss schlägt zudem vor, eine Mindestverjährungsfrist für Unfälle mit grenzübergreifendem Bezug einzuführen (Änderungsanträge 123-125). Damit folgt das EU-Parlament einer der zentralen Forderungen des DAV in seiner Stellungnahme. Bevor die Trilogverhandlungen beginnen können, muss noch der Rat seine Position festlegen.

Vereinigtes Königreich bis zum Brexit Teil des EU-Asylsystems – EuGH

Auch wenn ein Mitgliedsstaat seine Absicht nach Art. 50 EUV erklärt hat, aus der Union auszutreten, bleibt er zuständiger Staat im Sinne der Dublin-III-Verordnung (EU Nr. 604/2013). Dies stellte der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit Urteil vom 23. Januar 2019 in der Rs. C-661/17 fest. Vorliegend geht es um eine Entscheidung des irischen Flüchtlingsbeauftragten, mehrere Personen an das Vereinigte Königreich (VK) als zuständigen Staat im Sinne der Dublin-III-VO zu überstellen. Der irische High Court war der Ansicht, dass er zur Entscheidung des dazu anhängigen Rechtsstreits zunächst die Auswirkungen des Austrittsverfahrens des VK auf das Dublin-System ermitteln müsse. Der EuGH erinnerte in dem Urteil zunächst an seine Rechtsprechung, wonach bis zum tatsächlichen Austritt des VK aus der EU alle EU-Rechtsvorschriften dort vollumfänglich in Kraft blieben. Er stellt weiterhin fest, dass die Ermessensklausel der Dublin-III-VO (Art. 17) eine fakultative Klausel sei, die an keine besonderen Bedingungen geknüpft sei. Nach der Ermessensklausel kann jeder Mitgliedsstaat beschließen, einen Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er nicht zuständiger Staat im Sinne der Dublin-III-VO ist. Der Umstand, dass ein Mitgliedsstaat – vorliegend das VK – seine Absicht erklärt habe, aus der EU auszutreten, verpflichte den die Zuständigkeit bestimmenden Staat (hier Irland) somit nicht, von der Ermessensklausel Gebrauch zu machen.

EU-Mitgliedstaaten geben bilaterale Investitionsschutzabkommen auf – KOM

EU-Investoren können sich zukünftig nicht mehr auf bilaterale Investitionsschutzabkommen berufen, die zwischen zwei EU-Mitgliedstaaten geschlossen wurden. In ihrer Erklärung vom 15. Januar 2019 haben sich die Mitgliedstaaten als rechtliche Folge des Urteils des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 6. März 2018 in der Rs. C-284/16 („Achmea“) zur Aufhebung aller bilateralen Investitionsschutzabkommen untereinander entschlossen. Seinerzeit hatte der EuGH entschieden, dass die Schiedsklauseln in den zwischen Mitgliedstaaten geschlossenen Investitionsschutzabkommen nicht mit dem Unionsrecht vereinbar seien (s. EiÜ 10/18). Die EU-Kommission hat daraufhin den Dialog mit den Mitgliedstaaten aufgenommen, welche sich nun verpflichtet haben, alle intra-EU-Investitionsschutzabkommen zu beenden. Gleichzeitig hat sich die Mehrheit der Mitgliedstaaten auch verpflichtet, Maßnahmen zur Sicherstellung zu ergreifen, dass der Vertrag über die Energiecharta nicht als Grundlage für ein Schiedsverfahren zwischen Investoren und Mitgliedstaaten dienen kann. Die EU-Kommission begrüßt die Erklärung der Mitgliedstaaten. Dadurch können neue Schiedssprüche sowie Schiedsverfahren, die mit dem Unionsrecht unvereinbar seien, verhindert und für die Zukunft eine zusätzliche Rechtsklarheit für Investoren und Schiedsgerichte geschaffen werden.

Endgültige Abkehr von einstimmiger EU-Steuerpolitik? – KOM

In der Steuerpolitik werden auf EU-Ebene Ratsbeschlüsse seit 1958 noch vollständig einstimmig gefasst. In einer am 15. Januar 2019 veröffentlichten Mitteilung stellt die EU-Kommission nun zur Diskussion, wie dies in bestimmten Bereichen des Steuerrechts in den nächsten Jahren schrittweise in die Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit (sog. ordentliches Gesetzgebungsverfahren) geändert werden könnte. Damit würde auch das EU-Parlament als Co-Gesetzgeber stärker beteiligt und nicht mehr länger nur angehört werden. In der Mitteilung weist die EU-Kommission darauf hin, dass heute anders als früher die nationale Steuerpolitik nicht mehr nur allein mit der nationalen Souveränität verknüpft ist. Die EU-Kommission schlägt daher vier Schritte vor. Schritt 1 beträfe z.B. Maßnahmen zur Bekämpfung von Steuerbetrug und Steuerhinterziehung. Ebenfalls zeitnah sollten sich die Mitgliedstaaten als Schritt 2 über alle Bereiche mit Maßnahmen einigen, die anderen politischen Zielen zugutekommen (z.B. Klimawandel). Bis 2025 sollten dann Maßnahmen zur Modernisierung bereits harmonisierter EU-Regelungen z.B. im Bereich des Mehrwertsteuer- oder Verbrauchersteuerrechts (Schritt 3) und letztlich auch zu großen Steuerprojekten wie der gemeinsamen konsolidierten Körperschaftssteuerbemessungsgrundlage oder bei der Besteuerung der digitalen Wirtschaft (Schritt 4) erfasst sein. Rechtlich wäre dieser Übergang aufgrund von sog. Überleitungsklauseln gem. Art. 48 Abs. 7 EUV oder Art. 192 Abs. 2 AEUV möglich.

Europa im Überblick abonnieren

Verpassen Sie keine wichtigen rechtlichen Entwicklungen in Europa! Abonnieren Sie unseren E-Mail-Newsletter „Europa im Überblick“ und bleiben Sie stets informiert über die neuesten EU-Gesetzgebungen, Rechtsprechungen und deren Auswirkungen auf Ihre Praxis.

Kommentare

0 Kommentare zum Artikel
Was ist die Summe aus 3 und 9?