Europa im Überblick, 4/2020

EiÜ 4/2020

Kommission von der Leyen veröffentlicht Arbeitsprogramm 2020 – KOM

Die EU-Kommission hat am 29. Januar 2020 ihr Arbeitsprogramm für 2020 veröffentlicht. Darunter finden sich nicht nur neue Initiativen, sondern auch laufende Gesetzesverfahren, wobei 32 Legislativvorschläge insgesamt zurückgezogen werden. Unter den geplanten Maßnahmen sind u.a. folgende anwaltsrelevante Themen vorgesehen: Die Kommission wird noch im Februar 2020 ein Weißbuch über künstliche Intelligenz (KI) sowie eine neue europäische Datenschutzstrategie vorlegen und einen Bericht über Binnenmarkthindernisse veröffentlichen. Neben einem Bericht über die Lage der Rechtsstaatlichkeit 2020 in den Mitgliedsstaaten im dritten Quartal soll auch eine Strategie zur Umsetzung der EU-Grundrechtecharta vorgelegt werden. Geplant ist auch ein Gesetz über digitale Dienstleistungen, die über Online-Plattformen angeboten werden (Digital Services Act, s. EiÜ 3/20; 40/19). Mit Aktionsplänen soll die Bekämpfung von Geldwäsche und Steuerbetrug sowie die Förderung der Gleichstellung der Geschlechter in Angriff genommen und ein neuer Migrations- und Asylpakt ausgearbeitet werden. Für das vierte Quartal 2020 ist eine neue Verbraucheragenda angekündigt, u.a. durch die Überarbeitung der Verbraucherkreditvertrag-RL 2008/48/EG und eine Einging bei den Verbandsklagen.

Kollektiver Rechtsschutz für Verbraucher: 1. Trilog bringt Fortschritt – EP/Rat

Der französische Berichterstatter Geoffroy Didier (EVP) informierte die Mitglieder des Rechtsausschusses des EU-Parlaments (JURI) am 28. Januar 2020 über den Fortschritt der Trilogverhandlungen mit Rat und Kommission zum Richtlinienvorschlag über Verbandsklagen COM (2018) 184. Am 28. November 2019 hatte der Rat seine Position zum Richtlinienvorschlag angenommen (s. EiÜ 42/19). Didier berichtete über die Fortschritte aus dem ersten Trilog vom 14. Januar 2020. Man habe sich auf drei Grundsätze geeinigt. Angestrebt werde ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den Erwartungen der Verbraucher und der Rechtssicherheit für Unternehmen. Schließlich wolle man zügig vorankommen und bis Ende der kroatischen Ratspräsidentschaft eine Einigung erzielen. Es bestehe allerdings noch Diskussionsbedarf zwischen der Position des Rates und des EU-Parlaments. Im Gegensatz zum Rat möchte das EU-Parlament keine unterschiedlichen Regelungen für grenzüberschreitende und nationale Verbandsklagen einführen. Auch die Frage nach dem geltenden Grundsatz, dass die unterlegene Partei die Kosten zu tragen hat, werde weiter diskutiert werden. Zudem bestehe Uneinigkeit über die Umsetzungsfristen der Richtlinie, die der Rat mit 42 Monaten mehr als doppelt so lange ausdehnen möchte als das EU-Parlament mit 18 Monaten.

Unabhängigkeit von Notarsenat infrage gestellt – EGMR

Der EGMR hat am 30. Januar 2020 in der Rechtssache Franz v. Deutschland (Nr. 29295/16) Zweifel an der Unabhängigkeit des Notarsenats des OLG Celle geäußert. Beschwerdeführer war der ehemalige Notar Friedrich-Carl Franz, den der Präsident des OLG Celle, nachdem seine Gläubiger in einem Zeitraum von zehn Jahren insgesamt 46 Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegen ihn erwirkt hatten, gem. § 50 Abs. 1 Nr. 8 BNotO seines Amtes enthoben hatte. Klagen von Franz gegen die Amtsenthebung wurden vom Notarsenat beim OLG Celle und dem BGH zurückgewiesen. Dies war im Ergebnis korrekt, so der EGMR, eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren gem. Art. 6 Abs. 1 EMRK lag nicht vor. Der EGMR befand jedoch im Hinblick auf Befangenheitsrügen des Notars gegen den Notarsenat, „dass die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Notarsenats in Frage gestellt werden kann“. Die Doppelrolle des OLG-Präsidenten sowohl als Präsident der Justizbehörde, die die angefochtene Amtsenthebungsentscheidung erlassen hatte, als auch der Präsident des Gerichts, das über die dagegen gerichtete Klage entschieden habe und als solcher über die Besetzung des Notarsenats mitentscheide, „könne geeignet sein, bei dem Antragsteller objektiv begründete Befürchtungen hinsichtlich der Unabhängigkeit und objektiven Unparteilichkeit des Notarsenats zu wecken“. Auch die Tatsache, dass die Richter des Berufungsgerichts hinsichtlich ihrer Laufbahn und möglichen Disziplinarverfahren gegen sie der Verwaltungsautorität des OLG-Präsidenten unterstehen sei „geeignet, objektiv begründete Befürchtungen bei dem Antragsteller zu wecken“. Eine Verletzung von Artikel 6 Abs. 1 EGMR könne jedoch nicht auf die angebliche mangelnde Unabhängigkeit eines Gerichtes gestützt werden, wenn die getroffene Entscheidung einer nachträglichen Kontrolle durch ein gerichtliches Organ unterlegen habe, das über die volle Zuständigkeit verfügte und die Einhaltung der in dieser Bestimmung festgelegten Garantien gewährleistete. Dies sei beim BGH auch bei einer Beschwerde der Fall.  

Neue EU-Menschenrechtsstrategie mit globalem Ansatz – KOM

Die EU-Kommission plant die Erarbeitung eines neuen Aktionsplans für Menschenrechte und Demokratie für die Jahre 2020-2024, der voraussichtlich im März 2020 veröffentlicht werden soll. Daher hat sie eine Roadmap mit ihren Plänen veröffentlicht und konsultiert dazu die Interessenträger im Rahmen einer öffentlichen Konsultation bis zum 23. Februar 2020. Der Aktionsplan wird auf den bisherigen EU Action Plan on Human Rights and Democracy (2015-2019) folgen, der nunmehr ausgelaufen ist. Der neue Ansatz soll ausdrücklich eine globale Perspektive einnehmen und dazu beitragen, die Werte der EU im Bereich Menschenrechte und Demokratie weltweit zu fördern und das globale System für Menschenrechte und Demokratie zu stärken. Zu diesem Zweck will die Kommission sich auf die Optimierung von Partnerschaften auf multilateraler, bilateraler und regionaler Ebene konzentrieren und sich an den Wirtschaftssektor, die Zivilgesellschaft und die Sozialpartner wenden. Auch eine Befassung mit Lücken in der Rechenschaftspflicht und der Aushöhlung der Rechtsstaatlichkeit soll erfolgen. Gleichzeitig sollen einige seit langem bestehende Prioritäten bestehen bleiben, wie z.B. die Unterstützung von Menschenrechtsaktivisten sowie der Kampf gegen die Todesstrafe und Folter und gegen Diskriminierung. Auch neue Technologien sollen in den Blick genommen werden.

Prepaidkarten: TKG verletzt nicht das Recht der Privatsphäre – EGMR

Die Pflicht, sich beim Kauf von Prepaid-SIM-Karten zu identifizieren, verstößt nicht gegen die Kommunikationsfreiheit. Dies hat der EGMR über die Beschwerde des Europaabgeordneten und Bürgerrechtlers Patrick Breyer (Piratenpartei) in der Beschwerde Breyer v. Germany (no. 50001/12) entschieden. Breyer hatte ein Recht auf anonyme Kommunikation gefordert. Die anlasslose Pflicht zur Identitätspreisgabe aus § 111 TKG verletze das Recht auf Achtung der Privatsphäre aus Art. 8 EMRK, so Breyer in seiner Beschwerdeschrift. Kunden könnten nicht frei entscheiden, ob sie u.a. Name, Adresse und Geburtsdatum offenbaren wollen oder nicht. Der EGMR sieht das anders. Das Gericht räumt zwar ein, dass ein Eingriff in die Privatsphäre vorliegt, der jedoch von begrenzter Natur sei. Der Eingriff sei gerechtfertigt zur Abwehr von Gefahren und der Verfolgung von Straftaten. Die gespeicherten Daten seien gegen übermäßige oder missbräuchliche Informationsanforderungen dadurch weiter geschützt, dass die ersuchende Behörde eine zusätzliche Rechtsgrundlage für die Abfrage der Daten benötigt. Es beruft sich dabei auf den vom Bundesverfassungsgericht dargelegten Doppeltürvergleich: „Ein Datenaustausch erfolgt durch die einander entsprechenden Eingriffe von Abruf und Übermittlung, die jeweils einer eigenständigen Rechtsgrundlage bedürfen. Der Gesetzgeber muss, bildlich gesprochen, nicht nur die Tür für die Übermittlung von Daten, sondern auch die Tür für deren Abruf öffnen“. Zudem könne jeder, der glaubt, dass seine Rechte verletzt wurden, einen Rechtsbehelf einlegen.

Ungenauigkeit des Schutzbereichs einer Marke kein Nichtigkeitsgrund – EuGH

Am 29. Januar 2020 urteilte der EuGH in der Rechtssache Sky v. Skykick (C-371/189), dass eine Gemeinschaftsmarke oder eine nationale Marke nicht grundsätzlich ganz oder teilweise für nichtig erklärt werden könne, weil die Begriffe zur Bezeichnung der Waren und Dienstleistungen, die von der einzutragenden Marke erfasst sein sollen, nicht eindeutig seien. Damit folgte der EuGH dem Schlussantrag des Generalanwalts Evgeni Tanchev. Die mangelnde Eindeutigkeit dieser Begriffe und die daraus folgende Ungenauigkeit des Schutzbereichs der Marke stellen keinen in der Gemeinschaftsmarkenverordnung Nr. 40/94 und der Markenrichtlinie 89/104/EWG aufgeführten Nichtigkeitsgrund dar, so der EuGH. Letztere seien aber abschließend. Weiter urteilte der EuGH, dass eine Markenanmeldung bösgläubig sei, wenn die Marke nicht mit der Absicht angemeldet werde, sie für die angegebenen Waren und Dienstleistungen zu benutzen, sondern allein zur Verhinderung des Marktzutritts eines Dritten. Auch sei eine nationale Regelung, wonach der Anmelder einer Marke erklären muss, dass diese für die von der Anmeldung erfassten Waren und Dienstleistungen benutzt wird oder dass er die hierfür redliche Absicht hat, europarechtskonform, sofern der Verstoß gegen diese Pflicht nicht als Ungültigkeitsgrund einer bereits eingetragenen Marke ausgestaltet sei.

Brexit: wie geht es weiter?EP/KOM

Zum Ablauf des 31. Januar 2020 tritt Großbritannien aus der Europäischen Union aus. Das Brexit-Austrittsabkommen wurde sowohl durch das EU-Parlament als auch den Rat gebilligt. Mit Inkrafttreten des Austrittsabkommens beginnt der Übergangszeitraum, der bis zum 31. Dezember 2020 dauert. Das Vereinigte Königreich wird während des Übergangszeitraums weiterhin das Unionsrecht anwenden, aber nicht mehr in den Institutionen der EU vertreten sein. Der Übergangszeitraum kann einmal um höchstens ein oder zwei Jahre verlängert werden, wenn dies beide Seiten vor dem 1. Juli 2020 beschließen. Der Rahmen für die künftigen Beziehungen ist in der von beiden Seiten im Oktober 2019 vereinbarten politischen Erklärung festgelegt. Für den Übergangszeitraum ist in dem Austrittsabkommen auch der Umgang mit anwaltlichen Berufsqualifikationen in den Artikeln 27 ff. geregelt. Demnach behalten grundsätzlich bereits anerkannte Berufsqualifikationen ihre Gültigkeit. Die justizielle Zusammenarbeit in Straf- sowie in Zivil- und Handelssachen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich während der Übergangsphase werden in den Titeln V bzw. VI des Austrittsabkommens behandelt.

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