ZUR AUFHEBUNG DES ANWALTLICHEN BERUFSGEHEIMNISSES IN STRAFERMITTLUNGEN – EGMR
In seinem Urteil vom 1. Dezember 2015 im Fall Brito Ferrinho Bexiga Villa-Nova v. Portugal (Beschwerdenr. 69436/10) hatte der EGMR die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des anwaltlichen Berufs- und des Bankgeheimnisses einer portugiesischen Rechtsanwältin zu prüfen. In dem der Beschwerde zugrundeliegenden Fall ermittelte die portugiesische Staatsanwaltschaft gegen die Anwältin wegen Steuerhinterziehung und beantragte, das Berufsgeheimnis der Anwältin aufzuheben, um deren Kontoeingänge zu überprüfen. Dem Antrag wurde stattgegeben, eine vorherige Klage der Anwältin und eine Berufung beim obersten Gericht unter Verweis auf das anwaltliche Berufsgeheimnis hatten keinen Erfolg. Daraufhin legte die Anwältin Beschwerde beim EGMR ein – mit Erfolg. Der Gerichtshof stellte eine Verletzung des Berufsgeheimnisses und damit des Rechts auf Achtung des Privatlebens nach Art. 8 EMRK fest. Der Eingriff in das Berufsgeheimnis der Anwältin habe zwar ein rechtmäßiges Ziel verfolgt, sei aber nicht verhältnismäßig gewesen. Die Rechtsanwältin sei im Verfahren zur Aufhebung des Berufsgeheimnisses nicht beteiligt gewesen und habe ihre Argumente gegen die Aufhebung nicht vorbringen können. Außerdem hätte nach portugiesischem Recht die Kammer als unabhängiges Organ konsultiert werden müssen, auch wenn deren Empfehlung nicht bindend sei. Dies war jedoch unterblieben. Die Anwältin habe zudem nicht über ein wirksames Rechtsmittel verfügt, da der oberste Gerichtshof die Klage als unzulässig abgewiesen hatte.
ZUKUNFT DER VORRATSDATENSPEICHERUNG IN DER EU 2016 – RAT
Das EuGH-Urteil zur Nichtigkeit der Vorratsdatenspeicherungsrichtlinie und seine Konsequenzen waren Gegenstand der Beratungen der Justizminister am 3. Dezember. Die luxemburgische Ratspräsidentschaft hatte den Ministern u.a. die Frage vorgelegt, ob nach dem Urteil eine anlasslose Vorratsspeicherung noch legal möglich sei und ob angesichts der fragmentierten nationalen Gesetzgebungen eine EU-weite Regelung erforderlich sei. Die Mehrzahl der Mitgliedstaaten forderte die Kommission auf, einen neuen Legislativvorschlag vorzulegen – Innenkommissar Avramopoulos lehnte dies jedoch ab. Übereinstimmung herrschte, dass jedenfalls das EuGH-Urteil im schwedischen Vorlageverfahren zur Vorratsdatenspeicherung im sog. „Tele 2“-Verfahren (C-203/15) im Jahr 2016 abzuwarten sei.
EUROPÄISCHE STAATSANWALTSCHAFT: KLEINE TEILEINIGUNG GELUNGEN – RAT
Am Ende der luxemburgischen Ratspräsidentschaft konnte diese im Dossier zur Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft zur Bekämpfung von gegen die finanziellen Interessen der EU gerichtetem Betrug nach einigen Rückschlägen (vgl. EiÜ 32/15) einen kleinen Erfolg erzielen: Der Rat der Justizminister konnte am 3. Dezember 2015 seine Position zu einigen Artikeln (17-23, 28a teilweise) des Verordnungsvorschlags in einer teilweisen allgemeinen Ausrichtung vorläufig festlegen. Die erzielte Einigung betrifft vorwiegend die territoriale und personelle Zuständigkeit der Europäischen Staatsanwaltschaft sowie die Einleitung und Durchführung von Ermittlungen. Luxemburgs Justizminister übergab das Dossier nach Abschlusses des Rats an seine Nachfolger in der niederländischen Ratspräsidentschaft und betonte, das Dossier erfordere Durchhaltevermögen.
GÜTERRECHT VON EHE UND EINGETRAGENER PARTNERSCHAFT: ES SOLL WEITERGEHEN – RAT
Der seit 2011 auf dem Tisch liegende Verordnungsvorschlag für ein Kollisionsrecht im Bereich des ehelichen Güterstands KOM(2011) 126 und der Verordnungsvorschlag über güterrechtliche Kollisionsnormen eingetragener Partnerschaften KOM(2011) 127 waren am 3. Dezember im Justizministerrat ein erneutes Mal Gegenstand der Diskussionen zwischen den Mitgliedstaaten. Ziel war es, endlich eine allgemeine Ausrichtung zu den Vorschlägen zur Harmonisierung des familien- und erbrechtlichen Kollisionsrechts zu erzielen (vgl. Kompromissentwurf 1 und 2). Enttäuscht und verständnislos zeigten sich Justizkommissarin Jourová und der luxemburgische Justizminister Braz wegen der starren Haltung Ungarns und Polens, aufgrund derer die erforderliche Einstimmigkeit scheiterte. Nun müsse der Fortgang der Gesetzgebungsverfahren im Wege der verstärkten Zusammenarbeit zwischen einer möglichst hohen Zahl von Mitgliedstaaten verfolgt werden, um diese in der Praxis der EU so wichtigen Verordnungen – nach wie vor in einem untrennbaren Paket – zu verabschieden.
RICHTLINIENVORSCHLAG ZUR TERRORBEKÄMPFUNG – KOM
Die EU-Kommission hat am 2. Dezember 2015 einen Vorschlag COM(2015) 625 final für eine Richtlinie zur Terrorismusbekämpfung vorgelegt. Der Entwurf enthält zum einen Definitionen von Terrorismusstraftaten, zum anderen einen Katalog von unter Strafe zu stellenden Taten, darunter das Reisen zu terroristischen Zwecken sowie dessen Finanzierung, Erleichterung und Organisation, die Teilnahme und Durchführung terroristischer Ausbildungen und die Terrorismusfinanzierung. Die Richtlinie gibt keine Sanktionsrahmen vor. Die Strafandrohung müsse notwendig, wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein. Die Richtlinie dient der Umsetzung der Europäischen Sicherheitsagenda vom Mai 2015 und ersetzt den Rahmenbeschluss 2002/475/JI zur Terrorismusbekämpfung aus dem Jahr 2002.
FINANZIERUNGSZUGANG: ÄNDERUNG DER PROSPEKTRICHTLINIE – KOM
Kleine und mittlere Unternehmen (KMU) sollen bei der Ausgabe von Aktien oder Schuldtiteln leicht Zugang zu Finanzierungen finden. Die Kommission hat am 30. November 2015 im Rahmen ihres Aktionsplans für eine Kapitalmarktunion (s. EiÜ 31/15) einen Vorschlag COM(2015) 583 zur Überarbeitung der Prospekt- Richtlinie veröffentlicht, um die Regelungen für die Veröffentlichung von Prospekten durch Unternehmen weiter zu harmonisieren. Anfang 2015 hatte die Kommission eine Öffentliche Konsultation durchgeführt (s. EiÜ 7/15), die einen hohen Bürokratieaufwand für Unternehmen bei der Prospekterstellung konstatierte. Festgestellt wurde auch, dass Prospekte aus Verbrauchersicht häufig rechtsterminologisch schwer verständliche Formulierungen enthalten. Als Änderungen sieht der Vorschlag nun u.a. vor, dass bei geringen Kapitalbeschaffungen eine Ausnahme zur verpflichtenden Prospektausgabe geschaffen werden soll und für KMU die Anforderungen an die Erstellung eines Prospekts vereinfacht werden. Zudem sollen EU-weit verpflichtend aufzuführende Anlegerinformationen eingeführt werden.
SMALL CLAIMS VERORDNUNG NIMMT LETZTE HÜRDE – RAT
Der Rat der Justizminister hat den Trilogkompromiss zur Änderung der Verordnungen 861/2007 EG und 1896/2006 EG über das Verfahren für geringfügige Forderungen (sog. „Small Claims“ Verfahren) vom Juni 2015 am 3. Dezember angenommen (s. bereits EiÜ 23/15 und 32/15). Die Streitwertobergrenze wird in der Verordnung von 2.000 EUR auf 5.000 EUR erhöht. Der DAV hatte erfolgreich eine Erhöhung der Streitwertobergrenze auf 10.000 EUR abgelehnt (s. DAV-Stn. 6/2014). Nun muss die Verordnung im Amtsblatt veröffentlicht werden und tritt 20 Tage darauf in Kraft, bevor sie 18 Monate später offiziell Geltung entfaltet.
KOMPROMISS ZUR VEREINFACHTEN ANERKENNUNG ÖFFENTLICHER URKUNDEN GEBILLIGT – RAT
Der Rat der Justizminister hat am 3. Dezember 2015 den im Trilog erzielten Kompromiss zum Kommissionsvorschlag einer Verordnung zur vereinfachten Anerkennung öffentlicher Urkunden gebilligt (Kompromisstext noch nicht verfügbar, s. aber Pressekonferenz im Rat). Die Verordnung erleichtert die Anerkennung bestimmter öffentlichen Urkunden ohne Legalisation oder Apostille. Sie führt zudem mehrsprachige Formulare in allen Amtssprachen ein, welche die nationalen Dokumente begleiten und so den Übersetzungsaufwand reduzieren. Bürger können die Formulare künftig mit der mitgliedstaatlichen öffentlichen Urkunde in Belangen bzgl. Geburt, Tod, Eheschließung, Eintragung von Partnerschaften und Führungszeugnissen anfordern. Nun muss die Verordnung im Amtsblatt der EU veröffentlicht werden, bevor sie in Kraft treten kann.
ZUSTIMMUNG IM RAT: RICHTERERHÖHUNG AM GERICHT DER EU KANN KOMMEN – RAT
Die Justizminister haben am 3. Dezember entschieden: Das Gericht der EU (früher: EuG) soll 28 neue Richter bekommen. Dazu nahmen sie die nach der bereits erfolgten Annahme im EU-Parlament die Verordnung zur Änderung des Protokolls Nr. 3 über die Satzung des Gerichtshofs der EU offiziell an. 21 Richter (davon 12 im Jahr 2015 und voraussichtlich neun im Jahr 2019) sollen neu nominiert werden, sieben weitere Richter sollen durch die Zusammenführung des Gerichts der EU mit dem Gericht für den öffentlichen Dienst nominiert werden (vgl. u.a. EiÜ 12/15, 32/15). Voraussetzung für die Erhöhung der Richterzahl ist ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Richterinnen und Richtern. Die Verordnung wird Ende Dezember 2015 im Amtsblatt der EU veröffentlicht und tritt am folgenden Tag in Kraft. Die Rekrutierung der ersten zwölf neuen Richter läuft bereits – aus den betroffenen Staaten Tschechien, Schweden, Spanien, Ungarn, Polen, Zypern, Litauen, Griechenland, Lettland, Luxemburg, Slowakei und Malta liegen bereits Kandidatenvorschläge vor.
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