Europa im Überblick, 40/16

EUROPÄISCHER STAATSANWALT: ZUSTÄNDIGKEIT FIXIERT, ERRICHTUNG RETARDIERT – RAT

„Es ist uns beinahe gelungen, uns auf einen Kompromiss zu einigen“, so Justizkommissarin Jourová auf der Pressekonferenz nach dem Treffen der Justizminister am 8. Dezember 2016. Anders als vorgesehen konnten die Ratsverhandlungen zur Europäischen Staatsanwaltschaft nicht im Jahr 2016 vollendet werden (s. den Stand im Rat hier, s. auch EiÜ 38/16, 30/16, 20/16). Nun ist ein Abschluss im Frühjahr 2017 geplant. Das Projekt wird unter der im Januar startenden maltesischen Ratspräsidentschaft voraussichtlich im Wege der verstärkten Zusammenarbeit mit den EU-Mitgliedstaaten abzüglich des Vereinigten Königreichs, Irlands, Dänemarks, Schwedens und der Niederlande errichtet werden. In den Niederlanden bestehen Subsidiaritätsbedenken, aufgrund derer das Parlament den Minister angewiesen hat, sich nicht an der Errichtung der Behörde zu beteiligen. In Schweden hingegen heißt es, man habe bereits eine effiziente Strafverfolgung – daher bestehe für eine Europäische Staatsanwaltschaft kein Bedarf. Ein Kompromiss konnte hingegen hinsichtlich der materiellen Arbeitsgrundlage der Europäischen Staatsanwaltschaft, der Richtlinie zur Bekämpfung von Betrug gegen die finanziellen Interessen der EU („PIF“-Richtlinie) gefunden werden. Nach den jahrelang blockierten Verhandlungen einigten sich die Trilogparteien auf die Aufnahme schwerer grenzüberschreitender Umsatzsteuerstraftaten mit Schadenssummen von über 10 Millionen Euro (vgl. Pressemitteilung des Rates und die letzte, den Kompromiss bereits enthaltende Textfassung). Rat und EU-Parlament müssen den Kompromiss noch offiziell billigen.

VERLEIHUNG DES CCBE-MENSCHENRECHTSPEISES – CCBE

Im Rahmen seiner Vollversammlung in Brüssel am 2. Dezember 2016 ehrte der Rat der Europäischen Anwaltschaften (CCBE) die vier  türkischen Anwälte Ayşe Bingöl Demir, Ayşe Acinikli, Ramazan Demir und posthum Tahir Elçi mit dem Menschenrechtspreis 2016 (s. Pressemitteilung). Für den seit zehn Jahren vergebenden Preis hielt Stavros Lambrinidis, EU-Sonderbeauftragter für Menschenrechte, die Laudatio für die vier Preisträger, die sich in besonderem Maße für Rechtsstaatlichkeit in der Türkei einsetzen und dafür große persönliche Opfer bringen müssen. Tahir Elçi, Präsident des Anwaltskammer Diyabakir, in zahlreichen Kurdenverfahren implizierter Menschenrechtsanwalt und Mahner für friedlichen gesellschaftlichen Ausgleich, wurde am 28. November 2015 auf offener Straße erschossen. Seine Witwe nahm den Preis stellvertretend zusammen mit der ebenfalls ausgezeichneten Ayşe Bingöl Demir entgegen. Ayse Bingöl Demir ist Menschenrechtsanwältin und führt zahlreiche Verfahren vor türkischen Gerichten sowie dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Ayşe Acinikli und Ramazan Demir gehören zu der Gruppe von neun Kollegen, die im März 2016 festgenommen wurden und damit ihre Rolle als Verteidiger in einem Verfahren nicht wahrnehmen konnte, das sich gegen 46 der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung beschuldigte Anwältinnen und Anwälte richtete, weil diese zuvor kurdische Angeklagte verteidigt haben.

KOMPROMISS ZUR TERRORISMUSBEKÄMPFUNGSRICHTLINIE – KOM/EP/RAT

Die Richtlinie zur Terrorismusbekämpfung kommt. Bereits Ende November 2016 erzielten die Trilogparteien einen Kompromiss, der im Ausschuss der ständigen Vertreter des Rates am 30. November und am 5. Dezember 2016 im Ausschuss für Bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE) des EU-Parlaments angenommen wurde (s. Pressemitteilungen EP und Rat). Die Richtlinie sieht vor, Handlungen zur Vorbereitung und Planung von Terrorakten EU-weit unter Strafe zu stellen (s. bereits EiÜ 24/16, 10/16). Dazu zählen Reisen für terroristische Zwecke in Kampfgebiete oder Reisen in einen anderen Mitgliedstaat, um dort einen Terroranschlag zu verüben. Diese vorbereitenden Handlungen umfassen aber auch die Bereitstellung von Ausbildungen oder das Absolvieren dieser, sei es in Ausbildungslagern oder über das Internet sowie die Terrorismusfinanzierung. Schließlich soll auch die Verherrlichung terroristischer Handlungen, zum Beispiel durch die Verbreitung von Botschaften über das Internet, unter Strafe gestellt werden. EU-Parlament und Rat müssen den Kompromiss im Frühjahr 2017 zunächst billigen. Sodann beginnt die 18 Monate lange Umsetzungsfrist.

ÜBEREINKOMMEN ZUM EINHEITLICHEN PATENTGERICHT: INKRAFTTRETEN IN SICHT – RAT

Im Rahmen eines Gedankenaustausches im Rat für Wettbewerbsfähigkeit zum einheitlichen Patentschutzsystem bestätigte das Vereinigte Königreich, dass es die Vorbereitungen zur Ratifizierung des Übereinkommens zur Schaffung eines einheitlichen Patentgerichts (s. EiÜ 32/15) aufgenommen habe (s. Ergebnisse der Ratstagung). Auch der Deutsche Anwaltverein hatte sich in seiner Stellungnahme 58/2016 dafür ausgesprochen, dass sich das Vereinigte Königreich trotz des Votums der britischen Bevölkerung für einen Austritt aus der EU an dem Übereinkommen beteiligt. Für ein Inkrafttreten des Übereinkommens ist die Ratifizierung durch 13 Mitgliedstaaten – darunter Deutschland, Frankreich und das Vereinigte Königreich – erforderlich. Nach bisheriger Ratifizierung durch 11 Mitgliedstaaten stehen nunmehr die Chancen gut, dass das einheitliche Patentgericht bereits 2017 seine Arbeit aufnehmen kann und damit ein einheitliches Patentschutzsystem in der EU bestehen könnte.

FORTSCHRITTE BEI BEKÄMPFUNG DER GELDWÄSCHE – RAT/EP

Der Rat für Wettbewerbsfähigkeit hat am 6. Dezember 2016 eine Richtlinie bezüglich des Zugangs von Steuerbehörden zu Informationen zur Bekämpfung der Geldwäsche erlassen, die am 5. Juli 2016 gemeinsam mit dem Richtlinienvorschlag zur Überarbeitung der 4. Geldwäscherichtlinie von der Europäischen Kommission vorgelegt wurde (s. EiÜ 24/16). Zuvor hatte auch das Europäische Parlament mit seiner legislativen Entschließung vom 22. November 2016 zu dem Richtlinienvorschlag Stellung bezogen. Mit der Richtlinie soll insbesondere ermöglicht werden, im Rahmen der Überwachung der ordnungsgemäßen Anwendung der Vorschriften über den automatischen Austausch von Steuerinformationen Zugang zu Informationen über das wirtschaftliche Eigentum von Unternehmen zu erhalten. Die Mitgliedstaaten sollen die Richtlinie bis zum 31. Dezember 2017 in nationales Recht umsetzen, Geltungsbeginn der Richtlinie ist der 1. Januar 2018.

ÜBERARBEITUNG DES EUROPÄISCHEN MAHNVERFAHRENS GEFORDERT– EP

Das Europäische Parlament hat in seiner Entschließung vom 1. Dezember 2016 zur Anwendung des Europäischen Mahnverfahrens 1896/2006/EG die Europäische Kommission aufgefordert, eine Überarbeitung der Bestimmungen über den Geltungsbereich des Verfahrens sowie hinsichtlich der Überprüfung der Zahlungsbefehle in Ausnahmefällen zu erwägen (s. auch EiÜ 32/16). Von Bedeutung sei zudem, dass Anträge auf Erlass eines Europäischen Zahlungsbefehls künftig auf elektronischem Wege eingereicht werden können.

ENTWURF EINER CHARTA DIGITALER GRUNDRECHTE PRÄSENTIERT – EP

Braucht die EU eine digitale Grundrechtecharta? Ja, sagen einige Politiker, darunter der Präsident des EU-Parlaments Martin Schulz (S&D) und das Mitglied des EU-Parlaments Jan-Philipp Albrecht (Grüne), gemeinsam mit Journalisten sowie Wissenschaftlern  und haben eine "Charta der digitalen Grundrechte der Europäischen Union" entwickelt. Diese haben Parlamentspräsident Schulz und der Soziologe Prof. Heinz Bude am 5. Dezember 2016 im Ausschuss für Bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE) des EU-Parlaments vorgestellt. Mit dem Regelwerk wollen die Autoren eine Debatte starten – in der Hoffnung, dass dabei eine verbindliche Digital-Charta für die EU entsteht, als Erweiterung existierender Grundrechtekataloge. Der Entwurf enthält 23 Artikel zu Themen wie Netzneutralität, Profiling und informationelle Selbstbestimmung. Die Charta richtet sich sowohl an staatliche Stellen als auch an private Akteure. 

EIÜ-BEZUG – HINWEISE

Zum Bezug der EiÜ genügt eine Nachricht an bruessel@eu.anwaltverein.de unter Angabe des örtlichen Anwaltvereins. Die EiÜ ist auch abrufbar unter: http://www.anwaltverein.de/leistungen/europa-im-ueberblick. Für einen französischen oder spanischen Überblick über anwaltsrelevante EU-Themen („Europe en bref“ bzw. „Europa en breve“) wenden Sie sich bitte an unsere Kollegen von der Délégation des Barreaux de France unter dbf@dbfbruxelles.eu bzw. vom Consejo General de la Abogacía Española unter bruselas@abogacia.es. Der Newsletter des Rats der europäischen Anwaltschaften CCBE kann hier abonniert werden: http://www.ccbe.eu/index.php?id=9&L=0. Sie finden uns auch auf Twitter: GermanBarAssociation @DAVbxl.

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