Europa im Überblick, 41/2023

EiÜ 41/2023

B2B-Zahlungsfristen: Berichterstatterin will 30 Tage aufrechthalten – EP

Das Gesetzgebungsverfahren zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr schreitet voran. Zu dem Vorschlag der EU-Kommission hat nun die Berichterstatterin Roza Thun und Hohenstein (Renew) im zuständigen Binnenmarktausschuss (IMCO) des EU-Parlaments ihren Berichtsentwurf dazu vorgelegt, abrufbar hier. Die Berichterstatterin hält an den maximal zulässigen 30 Tagen Zahlungsfrist (Art. 3 VO-E) fest und stützt dies ebenfalls wie die EU-Kommission auf das Ziel der Verhinderung einer ungleichen Markt- bzw. Verhandlungsmacht zwischen kleinen und großen Unternehmen. Nationale Regelungen zu Abnahmeverfahren sollen nach der Berichterstatterin sogar unter den Vorbehalt vorheriger Genehmigung durch die EU-Kommission gestellt werden. Der DAV hatte in seiner Stellungnahme 76/23 insbesondere die strikte Verkürzung der zulässigen Zahlungsfrist auf 30 Tage mit Blick auf die grundrechtlich verbürgte Vertragsfreiheit (Art. 16 EU-Grundrechtecharta) kritisiert und eine unzureichende Begründung des Gesetzgebungsvorschlags geltend gemacht, vgl. auch EiÜ 37/23. Die Frist zur Einreichung von Änderungsanträgen durch die anderen Ausschussmitglieder läuft bis zum 12. Dezember 2023.

Politische Einigung zur Anti-SLAPP-Richtlinie – EP/Rat

Rat und EU-Parlament haben sich am 30. November 2023 vorläufig zur Anti-SLAPP- Richtlinie geeinigt, vgl. PM. Der Richtlinienvorschlag hat den Schutz der öffentlichen Beteiligung und Meinungsäußerung vor offenkundig unbegründeten oder missbräuchlichen Gerichtsverfahren („strategic lawsuit against public participation“) zum Ziel, vgl. bereits EiÜ 27/23; 25/23, 11/23, 16/22. Um einen besseren Schutz des betroffenen Personenkreises (oftmals Journalisten und Menschenrechtsverteidiger) zu erreichen, sollen in den Mitgliedstaaten gewisse Verfahrensgarantien eingeführt werden. Die gefundene Einigung enthält unter den Verfahrensgarantien den Antrag auf frühzeitige Klageabweisung bei offensichtlich unbegründeten Klagen, die Zahlung einer Sicherheit für die Verfahrenskosten durch den Kläger sowie die gerichtliche Verhängung von Sanktionsmaßnahmen. Auch sieht die Einigung vor, dass Urteile aus Nicht-EU-Staaten gegen in einem Mitgliedstaat ansässige Beklagte nicht anerkannt und vollstreckt werden, wenn das Urteil im betroffenen Mitgliedstaat als offenkundig unbegründet oder missbräuchlich angesehen wird. Zentrale Stellen in den Mitgliedstaaten sollen zur Unterstützung der Opfer von SLAPP-Klagen Informationen zu den Verfahrensgarantien und den Rechtsbehelfen zur Verfügung stellen. Die nun gefundene Einigung muss noch durch den Ausschuss der ständigen Vertreter im Rat gebilligt und anschließend durch EU-Parlament und Rat formell angenommen werden.

Neuer Rechtsrahmen zur Bekämpfung von Schleuserkriminalität – KOM

Die EU-Kommission hat am 28. November 2023 einen neuen Rechtsrahmen zur Bekämpfung der Schleuserkriminalität vorgeschlagen, (siehe PM). Dieser soll den seit 2002 bestehenden Rechtsrahmen ersetzen. Enthalten ist ein Richtlinienvorschlag zur Festlegung von Mindestvorschriften zur Prävention und Bekämpfung der Beihilfe zur unerlaubten Ein- und Durchreise sowie zum unerlaubten Aufenthalt in der Union. Diese erneuert den Straftatbestand der Schleusung, indem sie neben die materielle Gegenleistung für die Schleusung bzw. für das Erleichtern des (widerrechtlichen) Aufenthalts das alternative Tatbestandsmerkmal der ernsthaften Gefährdung der geschleusten Person stellt. Daneben legte die Kommission einen Verordnungsvorschlag vor, der die behördenübergreifende Zusammenarbeit bei Schleuserkriminalität und Menschenhandel verbessern soll. Hierzu soll insbesondere das bereits existierende Europol-Zentrum zur Bekämpfung der Migrantenschleusung, vor allem durch Mitarbeit von Eurojust- und Frontex-Verbindungsbeamten und der Möglichkeit, Einsätze in Drittstaaten durchzuführen, gestärkt werden. Zur Bekämpfung gerade der organisierten Schleuserkriminalität werden strategische und operative Aufgaben des Europol-Zentrums festgelegt, wozu insbesondere eine Koordinierung zwischen den Stellen der Union wie zwischen den Mitgliedstaaten und ein besserer Informationsaustausch zählen. Die Vorschläge der EU-Kommission werden nun von EU-Parlament und Rat geprüft.

Verlängerung der Übergangsverordnung gegen Online-Kindesmissbrauch – KOM

Die EU-Kommission will die Geltungsdauer der Übergangsverordnung gegen Kindesmissbrauch im Internet über den 3. August 2024 hinaus verlängern, vgl. Pressemitteilung. Damit sollen die Ausnahmen von der e-Privacy-Richtlinie (2002/58/EG) fortgelten, die es Providern ermöglicht, sexuellen Missbrauch von Kindern beinhaltendes Material, das über ihre Dienste verbreitet wird, freiwillig aufzudecken und zu melden, indem private Kommunikation durchsucht wird. Die Verhandlungen über die zeitlich unbefristete Verordnung („CSAM-Verordnung“) dauern an; zuletzt hatte sich das EU-Parlament gegen die weitreichenden Befugnisse des umstrittenen Verordnungsvorschlags positioniert, vgl. EiÜ 39/23. Der DAV hat den Vorschlag aus Verhältnismäßigkeitsgründen und mit Blick auf den Schutz privater Kommunikation von Anfang an stark kritisiert, vgl. zuletzt DAV-SN 32/23.

Leitlinien zur anwaltlichen Vertretung vor dem EGMR – CCBE

Der Rat der Europäischen Anwaltschaften (CCBE) hat aktualisierte Leitlinien zur Postulation vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) veröffentlicht: „The European Court of Human Rights: Questions & Answers for Lawyers“. Anwält:innen erhalten darin praktische Informationen für das Verfahren vor dem EGMR. Die Leitlinien wurden durch den EGMR selbst und den Europarat überprüft und sind zudem Gegenstand des Webinars des CCBE in Zusammenarbeit mit der European Lawyers Foundation (ELF) am kommenden Montag, den 4. Dezember 2023, siehe bereits EiÜ 39/2023; zur Anmeldung gelangen Sie hier.

Bericht zum Europäischen Gesundheitsdatenraum – EP

Am 28. November 2023 haben der Umweltausschuss (ENVI) und der Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE) des EU-Parlaments den Berichtsentwurf hinsichtlich des Kommissionsvorschlags zu einer Verordnung über den Europäischen Raum für Gesundheitsdaten (European Health Data Space – EHDS) in Form der Kompromissänderungsanträge angenommen. Dieser soll den grenzüberschreitenden Austausch von Gesundheitsdaten erleichtern, vgl. EiÜ 18/22 sowie DAV SN Nr. 37/2022. Zum einen betrifft dies die Behandlung und Vorsorge von Patient:innen (Primärnutzung), zum Anderen die Verwendung der Daten in der Forschung (Sekundärnutzung). Der Berichtsentwurf sieht nun im Vergleich zum Kommissionsvorschlag ein Widerspruchsrecht der Betroffenen für die Nutzung der Gesundheitsdaten zu Forschungszwecken im Nachhinein vor (Opt-out). In Ausnahmefällen, etwa bei genetischen Daten, sieht der Berichtsentwurf eine vorherige Einwilligung vor (Opt-in). Bei der Primärnutzung soll es kein Widerspruchsrecht geben, sondern der Patient/ die Patientin nur darüber bestimmen können, wer die Daten einsehen darf. Die Abstimmung über die Änderungsvorschläge im Plenum wird im Dezember 2023 erwartet.

Berichtsentwurf zur „Instrumentalisierung von Migranten“ – EP

Am 27. November 2023 wurde der Berichtsentwurf zu dem Gesetzgebungsvorschlag über die „Instrumentalisierung von Migranten“ im Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE) des EU-Parlaments diskutiert. Nach dem Berichterstatter Patryk Jaki (ECR) soll eine Instrumentalisierung nicht nur von Staaten, sondern auch von nicht-staatlichen Akteuren ausgehen können. Davon ausgenommen sollen humanitäre Hilfsoperationen (nur dann) sein, sofern diese nicht auf die Destabilisierung der Union oder des Mitgliedstaats gerichtet sind. Unklar bleibt nach wie vor, wie oft die Feststellung einer Situation der Instrumentalisierung und der darauf beruhenden verfahrensrechtlichen Abweichungen zugunsten der Mitgliedstaaten verlängert werden kann. Bis zum heutigen Tage, dem 1. Dezember 2023 konnten die anderen Ausschussmitglieder Änderungsanträge einreichen. Der Gesetzgebungsvorschlag war kürzlich in einer ersatzweisen Folgenabschätzung des wissenschaftlichen Dienstes des EU-Parlaments (EPRS) als mit dem Primärrecht unvereinbar kritisiert worden (siehe EiÜ 34/23), auch da die Abweichungen von der Asylverfahrensverordnung und der Neufassung der Aufnahmerichtlinie (siehe hier) schwere Eingriffe in die Grundrechts- und Verfahrensgarantien der Antragsteller darstellen und damit rechtsstaatliche Bedenken aufwerfen. Die EU-Kommission hatte die Erstellung einer Folgenabschätzung schlicht unterlassen.

2. Asylantrag: Gerichtliche Prüfung einer Überstellungsentscheidung – EuGH

Der EuGH hat mit Urteil vom 30. November 2023 (verbundene Rs C-228/21, C-254/21, C-297/21 und C-328/21) entschieden, dass die nationalen Gerichte eines zweiten Mitgliedsstaats, bei dem ein (zweiter) Asylantrag gestellt wird, nicht prüfen dürfen, ob für den Asylbewerber nach der Überstellung in den ersten Mitgliedsstaat die Gefahr besteht, in sein Herkunftsland zurückgewiesen zu werden. Diese Prüfung dürfe durch das Gericht des ersuchenden Mitgliedstaats nur erfolgen, wenn dieses feststellt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in dem ersten (ersuchten) Mitgliedsstaat systemische Schwachstellen aufweist. Im Ausgangsverfahren hatten mehrere Asylbewerber gegen eine Überstellungsentscheidung Rechtsbehelfe eingelegt. Zuvor hatten sich die Mitgliedsländer, in denen der Erstantrag gestellt wurde, gemäß der Dublin-III-Verordnung bereiterklärt, die Antragsteller wieder aufzunehmen. Der EuGH entschied ferner, dass einem Asylbewerber auch bei einem zweiten Asylantrag die notwendigen Informationen in Form des in der gesamten Union einheitlichen „gemeinsamen Merkblatts“ zu erteilen sind und das persönliche Gespräch stattzufinden hat. Dadurch kann der Asylbewerber gegenüber der Behörde des zweiten Mitgliedsstaats Umstände offenlegen, die geeignet sind, seine Überstellung zu verhindern und zu rechtfertigen, dass der zweite Mitgliedsstaat für die Prüfung seines Asylantrags zuständig ist.

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