Europa im Überblick, 42/2022

EiÜ 42/2022

Geldwäschepaket: Verhandlungsposition mit Licht und Schatten – Rat  

Am 7. Dezember hat der Rat seine Position zu den Vorschlägen der EU-Kommission für eine Geldwäsche-Verordnung sowie die 6. Geldwäsche-Richtlinie festgelegt (zu den Vorschlägen vgl. EiÜ 25/21; 39/21 sowie DAV-Stellungnahme Nr. 58/2021). In der allgemeinen Ausrichtung zur Geldwäsche-Verordnung (bisher nur in englischer Sprache) sollen Anwälte nun auch dann den durch das Geldwäschepaket deutlich verschärften Sorgfaltspflichten unterliegen, wenn sie als wesentliche geschäftliche oder berufliche Tätigkeit materielle Hilfe, Unterstützung der Beratung im Hinblick auf Steuerangelegenheiten leisten. Der Rat sieht außerdem Ausnahmemöglichkeiten bei nicht näher definierten Hochrisikotransaktionen von der grundsätzlichen Ausnahme von Meldepflichten für Berufsgeheimnisträger vor. Der DAV hatte in seiner Stellungnahme festgestellt, dass die Ausnahme jedoch aufgrund der Rechtsprechung von EGMR und EUGH nicht zur Disposition des Gesetzgebers steht. Die allgemeine Ausrichtung zur 6. Geldwäsche-Richtlinie (bisher nur in englischer Sprache) enthält insofern eine Verbesserung gegenüber dem Vorschlag der Kommission, als dass die Befugnisse der von der Kommission als weisungsbefugt vorgesehenen nationalen Aufsichtsbehörde über die anwaltlichen Selbstverwaltungseinrichtungen deutlich beschränkt werden sollen. Sobald das Europäische Parlament, voraussichtlich im April 2023, seine Positionen angenommen hat, können die Trilogverhandlungen beginnen.

DAC-6 Meldepflichten von Berufsgeheimnisträgern auf dem Prüfstand – EuGH

Am 8. Dezember 2022 hat der EuGH in großer Kammer in der Rs. C-694/20 anlässlich eines Vorabentscheidungsersuchens aus Belgien eine Vorschrift der Richtlinie 2018/822 (DAC-6-Richtlinie) für nichtig erklärt, wonach ein Rechtsanwalt andere an einer Steuergestaltung beteiligte Intermediäre von seiner Meldepflicht unterrichten muss. Denn diese Drittintermediäre müssten, wenn sie nicht dem Berufsgeheimnis unterliegen, nicht nur die Gestaltung, sondern auch die Identität des Rechtsanwalts und des Mandanten an die Steuerbehörden weitergeben. Der Gerichtshof stellte fest, dass Art. 7 GrCh der Kommunikation zwischen Rechtsanwälten und ihren Mandanten einen verstärkten Schutz zuweist. Eine Meldepflicht, wie sie in der Richtline vorgesehen ist, verletze jedoch diesen Schutz, da der Rechtsanwalt so das Bestehen eines Mandatsverhältnisses gegenüber dem Drittintermediär offenbaren müsse. Das Ziel der Regelung der Richtlinie, so der EuGH, ist ausdrücklich nicht die Kontrolle, ob sich Anwälte und Anwältinnen zurecht auf ihre Verschwiegenheit berufen, sondern die Bekämpfung potenziell aggressiver Steuerpraktiken und Verhinderung von Steuerhinterziehung und Steuerbetrug.

Einheitliche Straftatbestände bei Sanktionsverstößen vorgeschlagen – KOM

Die EU-Kommission hat am 2. Dezember 2022 ihren Richtlinienvorschlag mit vereinheitlichten Tatbeständen bei Sanktionsverstößen vorgelegt. Zuvor war die Rechtsgrundlage des Art. 83 Abs. 1 AEUV per Ratsbeschluss um Sanktionsverstöße erweitert worden (vgl. EiÜ 41/22). Umgehungen von Sanktionen der EU können demnach mit einer Freiheitsstrafe im Höchstmaß von mindestens fünf Jahren bestraft werden; gegen Unternehmen könnten Geldstrafen in Höhe von mindestens 5 % des weltweiten Gesamtumsatzes im Geschäftsjahr vor der Entscheidung verhängt werden. Die Tatbestände umfassen u.a. die seit dem 8. Sanktionspaket (s. EiÜ 33/22) verbotene Erbringung von Rechtsdienstleistungen an russische Unternehmen, die Bereitstellung von Geldern an sanktionierte Personen und Organisationen, das Versäumnis, diese Gelder einzufrieren, Transaktionen mit Drittländern, die durch EU-Sanktionen verboten oder eingeschränkt sind und den Handel mit Waren oder Dienstleistungen, deren Einfuhr, Ausfuhr, Verkauf, Kauf, Verbringung, Durchfuhr oder Beförderung verboten oder beschränkt ist. Die Richtlinie wird nun von den Co-Gesetzgebern im Europäischen Parlament und im Rat verhandelt und soll besonders schnell verabschiedet und umgesetzt werden.

Insolvenzrecht: neue Mindeststandards sollen Investoren locken – KOM

Am 7. Dezember 2022 hat die EU-Kommission ihren seit langem angekündigten Richtlinienvorschlag (bisher nur in englischer Sprache) zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des materiellen Insolvenzrechts veröffentlicht. Die Richtlinie enthält u. a. Regelungen zur Erhaltung der Insolvenzmasse, zu Gläubigerausschüssen für eine gerechte Verteilung des beigetriebenen Werts sowie die Verpflichtung der Mitglieder der Unternehmensleitung, rechtzeitig Insolvenz anzumelden, um zu verhindern, dass der Wert des Unternehmens Schaden nimmt. Außerdem ist ein sog. Pre Pack-Verfahren vorgesehen, bei dem die Veräußerung des Unternehmens vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens vereinbart wird. Eine vereinfachte Regelung für Kleinstunternehmen soll zudem die Kosten für deren Abwicklung senken und deren Eigentümern eine Schuldenbefreiung und einen Neuanfang als Unternehmer ermöglichen. Die Mitgliedstaaten werden verpflichtet, ein Informationsblatt zu erstellen, in dem die wesentlichen Elemente ihres nationalen Insolvenzrechts zusammengefasst werden, um grenzüberschreitenden Anlegern ihre Entscheidungen zu erleichtern. Der DAV hatte im Jahr 2021 bereits an der öffentlichen Konsultation der Europäischen Kommission teilgenommen (vgl. Stellungnahme) und die Initiative der Kommission ausdrücklich begrüßt (vgl. Pressemitteilung).

Grenzüberschreitende Anerkennung der Elternschaft kommt – KOM

Die Europäische Kommission hat am 7. Dezember 2022 einen Verordnungsvorschlag (in Englisch) zur Harmonisierung des internationalen Privatrechts in Bezug auf die Elternschaft auf EU-Ebene vorgestellt (vgl. EiÜ 14/21; 19/21) Ziel des Vorschlags ist es, die Anerkennung einer in einem EU-Mitgliedstaat begründete Elternschaft ohne spezielles Verfahren in allen anderen Mitgliedstaaten zu garantieren. Damit würden Kinder auch in grenzüberschreitenden Situationen ihre Rechte behalten, insbesondere wenn ihre Familienmitglieder innerhalb der EU reisen oder den Wohnort wechseln. Zu diesem Zweck sieht der Verordnungsvorschlag neben einheitlichen Regelungen in Bezug auf den Gerichtsstand und das anwendbare Privatrecht die Einführung eines unionsweiten Elternschaftszertifikats vor. So soll Rechtssicherheit für Familien geschaffen und Prozesskosten verringert werden. Zudem sollen die Rechte von Menschen, die in gleichgeschlechtlichen Ehen leben, gestärkt werden, wodurch der Vorschlag eine Schlüsselmaßnahme der 2020 vorgestellten EU-Strategie zur Gleichstellung von LGBTIQ-Personen darstellt.

KI: Keine Absage an Massenüberwachung – Rat

Der Telekommunikationsrat der EU hat am 6. Dezember seine Allgemeine Ausrichtung (in Englisch) für die weitere Verhandlung mit dem EU-Parlament bezüglich des Verordnungsvorschlages für ein Gesetz über Künstliche Intelligenz (KI) veröffentlicht (vgl. EiÜ 16/22; 11/22; 10/22; 14/21). Die Kommission hatte die Verwendung von KI-Systemen für die biometrischer Fernidentifizierung in Echtzeit durch oder im Auftrag von Strafverfolgungsbehörden nicht grundsätzlich verboten, sondern lediglich durch drei sehr weitreichende Ausnahmen eingeschränkt. Die Allgemeine Ausrichtung sieht ebenfalls kein Verbot vor, sondern konkretisiert lediglich die Ausnahmen. Damit stellt sich der Rat gegen einen Initiativbericht des Europäischen Parlaments zu KI im Strafrecht vom Oktober 2021, sowie gegen den Berichtsentwurf des EU-Parlaments zum KI-Verordnungsvorschlag (vgl. EiÜ 25/22). Auch der DAV hatte in seiner Stellungnahme 57/2021 argumentiert, dass die Verwendung von biometrischen Fernidentifizierungssystemen in öffentlich zugänglichen Räumen grundsätzlich verboten werden sollte, unabhängig davon, ob die Überwachung durch private oder staatliche Akteure erfolgt und unabhängig davon, ob sie in Echtzeit oder mit Verzögerung stattfindet. In den Trilogverhandlungen, die beginnen können, sobald das Parlament seine Position festgelegt hat (voraussichtlich im ersten Halbjahr 2023), dürfte ein etwaiges Verbot biometrischer Fernidentifizierung strittiges Thema werden.

Auch ohne Gericht: Recht auf Löschung unrichtiger Angaben – EuGH

Die große Kammer des EuGH hat am 8. Dezember 2022 in einem Vorabentscheidungsersuchen des Bundesgerichtshofs entschieden, dass der Betreiber einer Suchmaschine unrichtige Angaben löschen muss, auch wenn die tatsächliche Unrichtigkeit der Angaben noch nicht gerichtlich überprüft wurde (Rs. C-460/20). Die Vorlagefrage betraf die Auslegung von Art. 17 Abs. 3 lit. a der Verordnung (EU) 2016/679 (DSGVO) sowie von Art. 12 lit. b, 14 Abs. 1 lit. A der Richtlinie 95/46/EG im Lichte von Art. 7, 8 und 11 der Charta der Grundrechte. Im Ausgangsverfahren hatten die Antragsteller Google erfolglos aufgefordert, bestimmte Suchergebnisse zu löschen, da diese unrichtige Behauptungen enthielten. Der EuGH stellte fest, dass die Person, die den Antrag auf Löschung stellt, zwar nachweisen muss, dass die Informationen offensichtlich unrichtig sind. Dabei müssten aber lediglich die Beweise erbracht werden, die vernünftigerweise verlangt werden können. Im vorgerichtlichen Stadium müsse somit noch keine gerichtliche Entscheidung vorgelegt werden, die die Unrichtigkeit bestätigt. Der Anzeige von Fotos als Vorschaubilder („Thumbnails“) schreibt der EuGH einen besonders starken Eingriff in Art. 7 und 8 der GRCh zu. Der Suchmaschinenbetreiber müsse die individuelle Erforderlichkeit der Anzeige für die Ausübung des Rechts auf freie Information prüfen und dabei unterscheiden, ob den Fotos auch ein Informationswert unabhängig von deren Veröffentlichungskontext zukommt.

Rechtsstaatlichkeit: Ungarn blockiert Hilfsgelder für Ukraine – Rat

In der Ratssitzung der EU-Finanzminister (ECOFIN) am 6. Dezember 2022 stimmte Ungarn als einziger EU-Mitgliedstaat gegen ein Hilfspaket für die Ukraine in Höhe von 18 Milliarden Euro. Da für die Verabschiedung der Hilfsgelder eine einstimmige Entscheidung erforderlich ist, konnte das Paket somit vorerst nicht verabschiedet werden. Kritiker sehen in dem Veto einen Versuch der Regierung unter Viktor Orban, die EU zum Einlenken im Streit um die im April von der EU-Kommission eingefrorenen EU-Gelder für Ungarn in Höhe von 7,5 Milliarden Euro zu bewegen (EiÜ 14/22, 40/22). Zuvor hatte die EU-Kommission in einer abschließenden Einschätzung dem Rat empfohlen die Gelder aufgrund der anhaltenden Probleme in den Bereichen Rechtsstaatlichkeit und Korruptionsbekämpfung nicht an Ungarn auszuzahlen (EiÜ 41/22). Eine entsprechende Abstimmung wurde verschoben.

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