Europa im Überblick, 43/2024

EiÜ 43/24

Chatkontrolle: teilweise allgemeine Ausrichtung vorerst gescheitert – Rat

Die ungarische Ratspräsidentschaft hat beim Ratstreffen der Innenminister am 12. Dezember 2024 versucht, hinsichtlich des Verordnungsentwurfs zur Prävention und Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern (sog. „Chatkontrolle“-Verordnung) eine teilweise allgemeine Ausrichtung zu erzielen – erfolglos. Der Entwurf, der auch in der nun zur Abstimmung gestellten Fassung im Rat noch die anlasslose Durchsuchung privater elektronischer Kommunikation auf kinderpornographisches Bildmaterial unter Umgehung der Ende-zu-Ende-Verschlüsselung vorsieht, löste bei zu vielen Staaten Bedenken aus, dass schwerwiegende Grundrechtsverstöße drohen. Deutschland lehnte den grundrechtswidrigen Verordnungsentwurf nicht mehr wie in der Vergangenheit ab, sondern enthielt sich nur seiner Stimme. Innenministerin Faeser betonte, die Bundesregierung lehne weiter das vorgesehene ‚Client-Side-Scanning‘ und den anlasslosen Zugriff auf verschlüsselte Kommunikation ab. Ansonsten werde Deutschland sofort zustimmen. Der DAV hatte zuvor in einem Statement nochmals zur Ablehnung des Vorschlags aufgerufen, vgl. zuvor bereits Stellungnahme 32/2023 sowie zuletzt EiÜ 24/24.

Minister wollen Massenüberwachung, DAV kritisiert – Rat/DAV

Die EU soll sich für die Sicherheit des digitalen Raumes einsetzen und Freiheitsrechte auch dort schützen, anstatt die Privatsphäre durch digitale Massenüberwachung einzuschränken. Das fordert der DAV gemeinsam mit 54 weiteren Organisationen in einem offenen Brief vom 11. Dezember 2024. Zuvor hatte die von Rat und Kommission eingesetzte High Level Group „Going dark“ bereits im Sommer 2024 die Einführung einer Reihe von Überwachungsmaßnahmen empfohlen – darunter Vorratsdatenspeicherung, Chatkontrolle, sowie Datenzugang „by design“. Die Kritik u.a. des DAV betont nun, dass die Maßnahmen untrennbar mit der Abschwächung von digitalen Sicherheitsstandards verbunden wären. Die massenhafte, anlasslose Speicherung und Durchsuchung von Daten wäre ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Freiheitsrechte der Betroffenen. Und obendrein fehlt die Evidenz für die Behauptung, dass die Ermittlungsbehörden digitale Rechtsbrüche sonst überhaupt nicht verfolgen könnten, so DAV-Hauptgeschäftsführerin Dr. Sylvia Ruge in einem Statement. Jetzt ist die Kommission am Zug: Der Rat hat sie am 12. Dezember per Ratsschlussforderung aufgefordert, in der ersten Jahreshälfte 2025 einen Fahrplan für konkrete Maßnahmen zu erstellen, unter Beachtung der EuGH-Rechtsprechung und Wahrung der Freiheitsrechte.

Public: Europaratskonvention zum Schutz der Anwaltschaft – Europarat

Der Text der kommenden Konvention zum Schutz der ungehinderten Berufsausübung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte wurde durch den Europarat freigegeben und ist hier abrufbar. Die Konvention wird erstmals überhaupt in rechtsverbindlicher Form gewisse Grundprinzipien der unabhängigen Berufsausübung festlegen und soll zum Schutz der Rechtsanwält:innen vor Angriffen und Bedrohungen beitragen. Die Beteiligung der Parlamentarischen Versammlung und die eigentliche Annahme durch das Ministerkomittee - geplant ist dies für Mitte Mai 2025- sowie der Ratifikationsprozess stehen gleichwohl noch aus, vgl. EiÜ 41/24.

Polens Programm für die Ratspräsidentschaft – Rat

Am 1. Januar 2025 wird die Präsidentschaft im Rat der EU von Ungarn auf Polen übergehen. Polen übernimmt die Ratspräsidentschaft zum Zweiten Mal seit dem EU-Beitritt 2004. Die polnische Regierung hat dazu ihr Programm für das kommende Halbjahr veröffentlicht (s. Website). Im Fokus soll sektorübergreifend die Sicherheit Europas stehen. Die Agenda im Bereich Justiz und Inneres beinhaltet insbesondere den Datenzugang für eine effektive Strafverfolgung (vgl. EiÜ 41/24), den CSAM-Verordnungsentwurf zur Prävention und Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern (sog. „Chatkontrolle“, siehe obenstehende Meldung), den Richtlinienvorschlag zur Anpassung außervertraglicher zivilrechtlicher Haftungsregeln für künstliche Intelligenz (vgl. EiÜ 31/24 und 32/22), sowie den Richtlinienvorschlag zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Insolvenzrechts (vgl. EiÜ 08/24, 09/23 und DAV-SN 06/24, 13/23). Die Rechtsstaatlichkeit will die Ratspräsidentschaft als einen „Eckpfeiler der Europäischen Union“ schützen und fördern. Außerdem soll eine Diskussion über die Resilienz der Justizsysteme und den Schutz der Rechtstaatlichkeit geführt werden, wobei die Rolle der Zivilgesellschaft sowie die Unabhängigkeit der Rechtsberufe besonders berücksichtigt werden soll.

Bericht zur Bedrohungslage europäischer Anwält:innen – CCBE

Der CCBE veröffentlichte am 10. Dezember 2024, anlässlich des Tages der Menschenrechte, einen Bericht zum Thema Gewalt und Bedrohungen gegenüber Anwältinnen und Anwälten. 14.559 Anwält:innen aus 18 CCBE-Mitgliedsstaaten beteiligten sich an der Umfrage. Aus der Studie resultiert, dass dringend Maßnahmen für den Schutz von Anwält:innen zur Gewährleistung ihrer wesentlichen Rolle für den Zugang zum Recht und der Wahrung von Grundrechten und rechtsstaatlicher Prinzipien. Die Tätigkeitsbereiche Migration, Strafverteidigung und Menschenrechte verzeichnen die meisten Gefährdungen. 57,65% der Befragten gaben an, in den letzten drei Jahren Opfer von Bedrohungen oder Aggressionen geworden zu sein. Verbale Gewalt (64,36%), Belästigungen (43,19%) und Drohverhalten (36,51%) sind am häufigsten zu verzeichnen. 11,86% der Befragten bejahten sogar körperlichen Aggressionen ausgesetzt gewesen zu sein. In der Folge gab jeder Dritte an, weniger zufrieden mit der Berufswahl zu sein oder sogar über einen Berufswechsel nachzudenken. Jede vierte Person konstatierte Auswirkungen auf die mentale Gesundheit. In den letzten fünf Jahren sahen die Hälfte der Befragten eine Steigerung dieser Vorkommnisse. Als Hoffnung auf mehr Schutz von Anwältinnen und Anwälten sieht der DAV die 2025 geplante Annahme der Konvention des Europarats zum Schutz der Anwaltschaft (siehe dazu oben, bzw. EiÜ 41/24, 21/23).

Rat positioniert sich zur Insolvenzrechtsharmonisierung – Rat

Am 13. Dezember 2024 haben sich die Justizministerinnen und -minister im Rat auf eine gemeinsame Position zu einigen Teilen des Richtlinienvorschlags zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Insolvenzrechts geeinigt. Der Vorschlag zielt darauf ab, durch einheitlichere Regelungen die Effizienz von Insolvenzverfahren in der EU zu erhöhen, Gläubigern bei grenzüberschreitenden Investitionen mehr Rechtssicherheit zu bieten und dadurch solche Investitionen attraktiver zu machen, vgl. EiÜ 08/24, 09/23. Der DAV hat sich zu dem Gesetzgebungsvorschlag umfassend geäußert, vgl. die Stellungnahmen 06/24, 13/23. Die Position des Rates, eine sog. partielle allgemeine Ausrichtung, beschränkt sich für den Moment auf die vorgeschlagenen Maßnahmen zur Bewahrung der Insolvenzmasse durch gemeinsame Vorschriften zu Anfechtungsklagen und zur Aufspürung von Vermögenswerten, die Pflichten der Unternehmensleitung im Falle einer Insolvenz sowie bestimmte Transparenzpflichten. Die Beratungen über die bisher ausgeklammerten Abschnitte werden weitergeführt. Das betrifft insbesondere die umstrittenen Regelungen für verwalterlose Verfahren für kleine Unternehmen. Im EU-Parlament (Rechtsausschuss) steht eine Positionierung noch aus.

Mitgliedstaaten positionieren sich zur „Anti-Schleuser-Richtlinie“ – Rat

Der Rat hat unter der ausgehenden ungarischen Ratspräsidentschaft am 13. Dezember 2024 seine Position zur sogenannten Anti-Schleuser-Richtlinie festgelegt. Gegenstand ist der Richtli­ni­en­vor­schlag zur Festlegung von Mindest­vor­schriften zur Verhin­derung und Bekämpfung der Beihilfe zur unerlaubten Ein- und Durchreise sowie zum unerlaubten Aufenthalt in der Union, vgl. PM. Die allgemeine Ausrichtung (in Englisch) des Rates belässt die kontrovers diskutierte ‚humanitäre Klausel‘ zur strafrechtlichen Ausklammerung von Unterstützungsleistungen aus humanitären Gründen in der Form eines Erwägungsgrundes. Der DAV und auch zahlreiche weitere Verbände hatten eine ausdrückliche Regelung zur Zulässigkeit insbesondere rechtlicher Beratung im verfügenden Teil der Richtlinie gefordert. Der DAV hat in seiner Stellungnahme 14/24 ferner die Unbestimmtheit etwa des Tatbestands zur öffentlichen Anstiftung im Vorschlag der EU-Kommission kritisiert, vgl. auch EiÜ 11/24; 9/24. Zumindest sieht die allgemeine Ausrichtung im Zusammenhang mit den Verpflichtungen des internationalen und EU-Rechts vor, dass die zulässige Hilfe aus humanitären Gründen auch rechtliche, sprachliche oder soziale Beratung und Unterstützung umfasst. Im Gesetzgebungsverfahren steht die Positionierung des EU-Parlaments noch aus. Anschließend folgen die Trilogverhandlungen.

Konsultationen zum Rechtsstaatlichkeitsbericht 2025 – KOM

Die EU-Kommission hat am 2. Dezember 2024 ihre gezielte Konsul­tation der Interes­sen­träger zum Rechts­staat­lich­keits­bericht 2025 eröffnet, abrufbar hier. Mit der Konsul­tation, an der sich auch der DAV beteiligt, sammelt die EU-Kommission Informa­tionen über die Entwick­lungen im Bereich der Rechts­staat­lichkeit in allen Mitglied­staaten, um den jährlichen Rechts­staat­lich­keits­bericht vorzube­reiten (vgl. zum Rechtsstaatlichkeitsbericht 2024 DAV SN Nr. 02/24). Bei den Rückmel­dungen gegenüber der EU-Kommission können und sollen insbesondere auch die konkreten Empfeh­lungen an die Mitglied­staaten aufgegriffen werden. Die Frist zur Teilnahme an der Konsul­tation ist der24. Januar 2025.

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