EiÜ 6/2020
Künstliche Intelligenz: Der Mensch muss entscheiden – EP
Der derzeitige Rechtsrahmen der EU muss überprüft werden, um zu gewährleisten, dass auf die Entwicklungen von KI und automatisierter Entscheidungsfindung reagiert und ein hohes Verbraucherschutzniveau gewährleistet werden kann. Dies geht aus der Entschließung „Automatisierte Entscheidungsfindungsprozesse: Gewährleistung des Verbraucherschutzes und des freien Verkehrs von Waren und Dienstleistungen“ hervor, die das EU-Parlament am 12. Februar 2020 angenommen hat. Automatisierte Entscheidungsfindungsprozesse können zwar die Effizienz und Genauigkeit von Dienstleistungen verbessern, jedoch müsse der Mensch letztlich für Entscheidungen verantwortlich und in der Lage sein, sich über Entscheidungen hinwegzusetzen, die etwa im Zusammenhang mit freiberuflichen Dienstleistungen wie den juristischen Berufen getroffen werden. In der Entschließung wird zudem betont, dass es im Einklang mit der Richtlinie über die Verhältnismäßigkeitsprüfung 2018/958 wichtig ist, die Risiken vor der Automatisierung professioneller Dienstleistungen ordnungsgemäß zu bewerten. Hinsichtlich des Sicherheits- und Haftungsrahmens wird betont, dass, aufgrund der Komplexität von KI, Produkte sich weiterentwickeln und in einer Art und Weise handeln könnten, die beim ersten Inverkehrbringen nicht vorgesehen war. Das EU-Parlament fordert daher eine Anpassung der Sicherheitsvorschriften. Außerdem wird ein Risikobewertungssystem für die KI gefordert, um einen kohärenten Ansatz bei der Durchsetzung der Produktsicherheitsvorschriften zu gewährleisten. Ebenso müsse die Produkthaftungsrichtlinie 85/374/EWG in Bezug auf durch autonome Entscheidungsfindungsprozesse zurückzuführende Schädigungen überarbeitet werden.
Bekämpfung von Steuervermeidung bei Plattformen im Fokus – KOM
Nachdem festgestellt wurde, dass die Richtlinie 2011/16/EU kaum zur Verhinderung von Steuervermeidung beigetragen hat (s. EiÜ 32/19), soll die Richtlinie nun entsprechend angepasst werden. Vom 7. Februar 2020 bis zum 6. März 2020 läuft hierzu eine Folgenabschätzung der EU-Kommission. Mit einer neuen Initiative sollen Steuereinnahmeverluste bekämpft werden, die dadurch verursacht werden, dass steuerbare Einkünfte, die über Online-Plattformen generiert werden, nicht gemeldet werden. Zudem soll die Zusammenarbeit der nationalen Steuerverwaltungsbehörden und die Ineffizienz bei der Nutzung von Daten verbessert werden. Die Einhaltung der Steuervorschriften durch die Plattformwirtschaft sei suboptimal und der Wert der nicht gemeldeten Einnahmen werde erheblich anwachsen. Die EU-Kommission wird prüfen, ob Leitlinien, die an die Steuerverwaltungen und Online-Plattformen gerichtet sind, bereits die Ziele erreichen können. Andernfalls wird geprüft, ob eine Änderung der Richtlinie 2011/16 durch den verpflichtenden Austausch von Informationen erforderlich ist. Dabei sollen nur die Mindestangaben der zu übermittelnden Datenelemente an die Steuerverwaltungen erfasst sein. Die Folgenabschätzung dient der Unterstützung bei der Vorbereitung einer Initiative, die von der EU-Kommission durchgeführt wird. Eine öffentliche Konsultation ist für Ende Februar 2020 geplant.
Ordnungsgemäße Durchsetzung von Geldwäschebekämpfung notwendig – EP
Im Rahmen der Plenarsitzung des EU-Parlaments vom 12. Februar 2020 diskutierte das Plenum die Auswirkungen des sog. Luanda Leaks Skandals vor dem Hintergrund des Rahmenwerks im Bereich der Geldwäschebekämpfung. Von den Abgeordneten wurden eine stärkere Zusammenarbeit zwischen den Aufsichtsbehörden sowie eine Mindestharmonisierung von Regelungen gefordert. Insbesondere das EU-Regelungswerk sollte künftig auf eine Verordnung und nicht wie bisher auf Richtlinien gestützt werden. Schließlich sei auch die strafrechtliche Verfolgung von Tätern in den Vordergrund zu stellen. In der Diskussion waren sich sowohl die Vertreterin des Rates, Nikolina Brnjac, als auch die Kommission einig, dass die Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung noch effizienter vollzogen werden sollte (s. EiÜ 43/19). Wie im Arbeitsprogramm der EU-Kommission (s. EiÜ 4/20) angekündigt, hat die EU-Kommission am 12. Februar 2020 den Fahrplan für den geplanten Aktionsplan zur Bekämpfung von Geldwäsche veröffentlicht, der betroffenen Interessengruppen die Möglichkeit zur Rückmeldung gibt. Zudem hat die EU-Kommission gegen acht Mitgliedsstaaten, die die 5. Geldwäscherichtlinie 2018/843 bisher noch nicht umgesetzt haben, Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet.
EU-Abgeordnete fordern Handeln der Kommission gegen Polen – EP
Am Dienstag, den 11. Februar 2020 fand im Plenum des EU-Parlaments erneut eine Aussprache zur Lage der Rechtsstaatlichkeit in Polen statt. Zu Beginn schilderte die Vizepräsidentin der EU-Kommission Věra Jourová die aktuellen Entwicklungen. Der als äußerst problematisch beurteilte Gesetzesentwurf sei mittlerweile verabschiedet und die jüngsten Entscheidungen des Obersten Gerichts, welches dem EuGH gefolgt ist, hätten keine Umsetzung erfahren. Insbesondere sei die Disziplinarkammer weiterhin tätig. Justizkommissar Reynders betonte, dass die Kommission stets offen für einen fairen Dialog mit den Mitgliedstaaten sei, um Probleme zu lösen, aber nicht zögern werde, alle ihr zur Verfügung stehenden Instrumente zu nutzen, um die Einhaltung des EU-Rechts zu gewährleisten. Während der dann folgenden Aussprache sahen fraktionsübergreifend EU-Abgeordnete weiteren Handlungsbedarf. So forderte etwa die Vizepräsidentin des EU-Parlaments Katarina Barley (S&D) die EU-Kommission eindringlich dazu auf, vor dem EuGH gegen Polen vorzugehen. Polnische Richter seien in der unmöglichen Situation, dass ihnen bei Anwendung von EU-Recht Disziplinarstrafen drohten. Als konkretes Beispiel nannte sie den Fall des polnischen Richters Paweł Juszczyszyn, der letzte Woche von der Disziplinarkammer von seinem Amt suspendiert und dessen Bezüge um 40% gekürzt wurden, da er die Rechtsmäßigkeit der Besetzung eines durch den neuen Landesjustizrat ernannten Spruchkörpers angezweifelt habe.
EU-Beitritt zum 41. Haager Übereinkommen – KOM
Bereits im Juli 2019 haben die EU – vertreten durch die EU-Kommission – und zahlreiche Handelspartner das 41. Haager Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile in Zivil- oder Handelssachen (in englischer Fassung) angenommen. Das Übereinkommen soll Handel und Investitionen erleichtern, indem es die Rechtssicherheit verbessert und die Kosten bei der Beilegung internationaler Streitigkeiten senkt. Anlässlich des nun vorzubereitenden Beitritts zum Übereinkommen durch die EU führt die EU-Kommission derzeit eine Folgenabschätzung durch. Die Hauptziele, die durch die Annahme der Konvention verfolgt werden, liegen im besseren Zugang zum Recht und der Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen durch die Gerichte der Unterzeichnerstaaten unter einem einheitlichen Regime. Derzeit können zivil- oder handelsrechtliche Urteile, die von EU-Gerichten erlassen wurden, in einem Drittland nur in einer begrenzten Anzahl von Situationen anerkannt und in einem Drittland vollstreckt werden. Viele der wichtigsten Handelspartner, wie Kanada, China, Japan oder die USA, sind nur einer begrenzten Anzahl von Verträgen über die Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen beigetreten. In weiterer Folge ist eine öffentliche Konsultation bis April 2020 geplant und wird mindestens 12 Wochen dauern.
Balanceakt: Ahndung von EU-Finanzstraftaten und Verfahrensrechten – EuGH
In der Rs. C-612/15 hatte der EuGH entschieden, dass die Einstellung eines Ermittlungsverfahrens aufgrund der Zeitverzögerung in diesem Bereich mit dem Unionsrecht, Artikel 325 AEUV, in Bezug auf Taten schweren Betrugs oder sonstigen schwerwiegenden Taten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union im Bereich der Zölle, unvereinbar sei (s. EiÜ 23/18). Es sei aber auf die Wahrung der Grundrechte des Beschuldigten zu achten. Aufgrund der Entscheidung wollte das nun vorlegende Gericht die Verfahrensfehler, die in der Ermittlungsphase dieses Verfahrens in Bezug auf die Unterrichtung der beschuldigten Person über den gegen sie erhobenen Tatvorwurf und die Gewährung von Einsicht in die Verfahrensakte begangen wurden, selber beheben, obwohl die Sache vorher schon an die Staatsanwaltschaft zurückverwiesen worden war. Das Rechtsmittelgericht wandte sich hiergegen mit der Begründung eines Verstoßes gegen nationales Verfahrensrecht. Der EuGH entschied nun unter besonderer Berücksichtigung des Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatzes mit Urteil in der Rs. C-704/18, dass die Rechte der Beschuldigten gewahrt werden, wenn an die Staatsanwaltschaft zurückverwiesen werde. Auch die Staatsanwaltschaft sei dazu befugt, die Beschuldigtenrechte zu gewährleisten. Im Hinblick auf die Verfahrensdauer sei darauf hinzuweisen, dass auch die Staatsanwaltschaft verpflichtet sei, einen angemessenen Ausgleich zwischen der Wahrung der Verteidigungsrechte und der Effektivität der Strafverfolgung und der Ahndung von Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union herzustellen.
Angeklagte können auf ihr Anwesenheitsrecht verzichten – EuGH
Der EuGH hat darüber entschieden, unter welchen Umständen die Abwesenheit von Angeklagten im Strafprozess mit dem Unionsrecht, insbesondere Art. 8 Abs. 1 und 2 der Richtlinie (EU) 2016/343, vereinbar ist. Konkret ging es um eine bulgarische Vorschrift, dass eine Abwesenheit nicht rechtwidrig ist, wenn der Angeklagte ordnungsgemäß geladen, über die Folgen des Nichterscheinens unterrichtet und von einem von ihm gewählten Rechtsanwalt verteidigt wurde, sofern er wirksam auf eine Anwesenheit verzichtet hatte, oder bei unfreiwilligem Ausbleiben anschließend wirksam darauf verzichtet hat, die Sitzung zu wiederholen. Der EuGH beanstandete dies in seinem Urteil in der Rs. C-688/18 nicht. Der Verzicht auf das Recht auf Teilnahme an der Anhörung müsse eindeutig festgelegt werden und von einem Minimum an Garantien umgeben sein, die seiner Schwere entsprechen. Außerdem dürfe die Anwesenheit nicht auf ein erhebliches öffentliches Interesse stoßen. Bei unfreiwilligem Ausbleiben sei es entscheidend, ob hinterher ein eindeutiger Verzicht flankiert von Rechten zur Wiederholung ausgemacht werden könne. Der EuGH wies allerdings darauf hin, dass die Richtlinie angesichts des Minimalcharakters des mit ihr verfolgten Harmonisierungsziels nicht als vollständiges und erschöpfendes Instrument verstanden werden kann. Sie verfolge nur den Zweck „gemeinsame Mindestvorschriften für Strafverfahren in Bezug auf bestimmte Aspekte der Unschuldsvermutung und des Rechts auf Anwesenheit bei der Verhandlung festzulegen“.
Abschiebungen aus Spanien ohne Prozess für rechtmäßig erklärt – EGMR
In seiner Entscheidung N.D. und N.T vs. Spanien (Beschwerdenr. 8675/15, 8697/15) hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) am 13. Februar 2020 keine Verletzung des Verbots der Kollektivausweisung ausländischer Personen aus Art. 4 aus Protokoll Nr. 4 und keine Verletzung des Rechts auf wirksame Beschwerde aus Art. 13 EMRK i. V. m. Art. 4 aus Protokoll Nr. 4 festgestellt. Der Fall betrifft die Zurückschiebung (sog. „Push- Back“) zweier Staatsangehöriger aus Mali und der Elfenbeinküste nach Marokko ohne schriftliches Verfahren oder Zugang zu einem Anwalt. Die beiden hatten im August 2014 versucht, sich auf spanisches Hoheitsgebiet zu begeben, indem sie die Zäune um die spanische Enklave Melilla an der nordafrikanischen Küste bestiegen, wurden aber umgehend nach Marokko zurückgeschickt. Die große Kammer des EGMR billigte nun – anders als noch 2017 eine Kammer desselben Gerichts – die direkte Abschiebungspraxis nach Grenzübertritt. Spanien habe den Beschwerdeführern die Möglichkeit gegeben, ein Gesuch nach internationalem Schutz an bestimmten dafür bestimmten Grenzübergängen sowie in diplomatischen Niederlassungen zu stellen. Auch sei die Beantragung eines Visums möglich gewesen. An diesen Orten hätte auch die Möglichkeit der Einlegung eines Rechtsbehelfs gegen die Abschiebungsanordnungen bestanden. Durch ihren kollektiven illegalen Grenzübertritt unter bewusster Missachtung der bestehenden Regeln hätten sie es selbst verschuldet, kein Schutzersuchen stellen oder Rechtsmittel in Anspruch zu nehmen zu können.
Ungarische Transitzonen doch europarechtswidrig? – EuGH
Am 10. Februar 2020 fand die mündliche Verhandlung vor dem EuGH in einem Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn wegen vornehmlicher Verstöße gegen die Asylverfahrensrichtlinie statt (Rs. C-808/18). Die EU-Kommission moniert vor allem drei Punkte. Zunächst sei aufgrund der Regelung, dass Asylanträge ausschließlich in den von Ungarn eingerichteten Transitzonen zu stellen seien, zu denen nur Wenige Zutritt haben, effektiver Zugang zu den Asylverfahren verwehrt. So werde nach Darstellung der ungarischen Organisation Hungarian Helsinki Committee (HCC) pro Tag nur eine Person neu aufgenommen. Außerdem sei es nicht mit Unionsrecht vereinbar, dass sich Asylbewerber während der Prüfung ihrer Anträge innerhalb der Transitzone aufhalten müssten und somit systematisch interniert würden. Entgegen der EU-Asyl-Verfahrensrichtlinie würde diese rechtswidrige Internierung auch nicht innerhalb von vier Wochen beendet. Drittens beanstandet die EU-Kommission, dass viele Drittstaatsangehörige, die rechtswidrig eingereist seien, gar keinen Asylantrag stellen könnten, da sie ohne Beachtung von EU-Verfahrensvorschriften nach Serbien zurückeskortiert würden. 2019 hatte der EGMR entschieden, dass die Transitzonen keine gegen die EMRK verstoßende Freiheitsentziehung darstellten (Beschwerdenr. 47287/15). Das Verfahren hat eine über Ungarn hinausreichende Bedeutung, da die Bundesregierung in ihrem in dieser Woche veröffentlichten Konzeptpapier für die Neuausrichtung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems eine Vorprüfung in derartigen Zentren an den EU-Außengrenzen plant. Parallel zu diesem läuft ein weiteres Verfahren gegen Ungarn, welches das verschärfte Asylrecht betrifft. Danach sind Anträge unzulässig, wenn der Flüchtling bereits durch einen „sicheren Drittstaat" gereist ist (Rs. C-821/19).
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