Europa im Überblick, 7/2020

EiÜ 7/2020

Künstliche Intelligenz: Transparenz und Rückverfolgbarkeit nötig – KOM

Mithilfe des am 19. Februar 2020 vorgestellten Weißbuchs der EU-Kommission zur Künstlichen Intelligenz (KI) soll der Rahmen für eine vertrauenswürdige, menschenbasierte KI im öffentlichen und privaten Sektor geschaffen werden. Die EU-Kommission betont, dass KI neben Chancen zahlreiche Risiken für Grundrechte bergen könne, z. B. für den effektiven Zugang zur Justiz. In Fällen, die aufgrund ihres Anwendungsbereichs, z. B. in den Bereichen Gesundheit, Justizwesen, Polizei oder Verkehr und aufgrund der vorgesehenen Art der Verwendung besonders hohe Risiken darstellen, sollten KI-Systeme einem künftigen europäischen KI-Rechtsrahmen unterfallen. Die Aufsicht durch den Menschen müsse hier stets gewährleistet sein, so die Kommission, und die KI-Systeme transparent und rückverfolgbar sein. Besonders kontrovers gesehen wird die Verwendung der Gesichtserkennung für die biometrische Fernidentifizierung. Diese sei generell verboten und dürfe nur in hinreichend begründeten und verhältnismäßigen Ausnahmefällen unter Schutzvorkehrungen und auf der Grundlage des EU-Rechts oder des nationalen Rechts genutzt werden. Für KI-Anwendungen mit geringerem Risiko sieht die Kommission ein freiwilliges Kennzeichnungssystem vor. Zum Weißbuch konsultiert die EU-Kommission die Interessenträger bis zum 19. Mai 2020.

Europäische Datenstrategie: Daten europaweit teilen und nutzen – KOM

Mithilfe der europäischen Datenstrategie vom 19. Februar 2020 möchte die EU-Kommission einen Binnenmarkt für Daten fördern und hierfür zum Nutzen von Unternehmen, Forschung und öffentlicher Verwaltung gemeinsame Datenräume schaffen und einen freien Datenverkehr innerhalb der Europäischen Union und über Sektoren hinweg ermöglichen. Hierzu kündigt sie die Schaffung eines Rechtsrahmens für die Daten-Governance, den fairen Zugang zu Daten und deren Weiterverwendung zwischen Unternehmen, zwischen Unternehmen und Behörden sowie innerhalb der Verwaltungen unter Berücksichtigung von Daten- und Verbraucherschutz sowie Wettbewerbsrecht an. Daten des öffentlichen Sektors sollen in größerem Umfang zugänglich gemacht werden, um Innovationen zu ermöglichen. Ein nahtloser Zugang zu Rechtsvorschriften und Rechtsprechung sowie zu Informationen über den elektronischen Rechtsverkehr, so die Kommission, könne „innovative Legal-Tech-Anwendungen zur Unterstützung der Angehörigen der Rechtsberufe (Richter, Beamte, Unternehmensberater und Anwälte)“ ermöglichen. Zur europäischen Datenstrategie konsultiert die EU-Kommission die Interessenträger bis zum 31. Mai 2020. 

Europäischer Haftbefehl: „Wir öffnen nicht die Büchse der Pandora“ – EP

Am 20. Februar 2020 tagte der Ausschuss für Bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE) zum Thema Europäischer Haftbefehl. Drei Sachverständige (s. Studie des Wissenschaftlichen Dienstes des EU-Parlaments) berichteten über die Implementierung des Europäischen Haftbefehls (EAW). Der EAW wurde insgesamt als Erfolg dargestellt. Schwierigkeiten wurden im Bereich der Haftbedingungen (s. EiÜ 36/19, 34/19), dem gegenseitigen Vertrauen der Mitgliedsstaaten untereinander und der Auslegung des Rahmenbeschlusses zum EAW insgesamt gesehen. Auch nach 18-jährigem Bestehen müsste der EuGH den Text des Rahmenbeschlusses immer noch auslegen (s. EiÜ 26/19), insbesondere die Unabhängigkeit der Justizbehörden ist immer wieder ein Thema (s. EiÜ 42/19; 35/19; 22/19). Die Mitglieder des EU-Parlaments wollen jedoch nicht an dem Rahmenbeschluss rütteln, um dort die Probleme anzupacken. Denn dann würde man „die Büchse der Pandora öffnen“ und auch die bisher erreichten Einigungen stünden wieder auf dem Spiel. Die Vertreterin der Kommission kündigte dagegen an, dass die Kommission durchaus bereit wäre, den Rahmenbeschluss zu überarbeiten. Die Probleme werden überwiegend in der Umsetzung und einer falschen Anwendung des EAW gesehen. Konkrete Lösungen können allerdings erst angegangen werden, wenn zu Beginn der Sommerpause die Kommission ihre Auswertungen zum EAW vorstellt.

Neuer Verhandlungsleitfaden für Parteien vor dem EuGH – EuGH

Am 14. Februar 2020 wurden neue Praktische Anweisungen für Parteien, die ein Verfahren vor dem EuGH führen, im EU-Amtsblatt veröffentlicht. Seit dem Inkrafttreten, der bis dahin geltenden Anweisungen aus dem Jahr 2014, hat es jedoch einige wichtige Entwicklungen gegeben, sowohl in technischer Hinsicht als auch im Bereich der Rechtssetzung. Zum einen nutzen die Parteien zunehmend elektronische Kommunikationsmittel für die Übermittlung ihrer Verfahrensschriftstücke, was zu einer zügigeren Bearbeitung beiträgt. Zugleich setzt dies aber voraus, dass zuvor geregelt wird, wie eine solche Übermittlung erfolgt und welche Maßnahmen zu ergreifen sind, um die Behandlung und die Übersetzung des eingereichten Schriftstücks zu erleichtern und die Vertraulichkeit der darin enthaltenen Informationen zu wahren. Zum anderen ist die Verfahrensordnung des Gerichtshofs seit 2012 mehrfach geändert worden. Im Interesse einer geordneten Rechtspflege und der besseren Lesbarkeit halber wurden daher neue praktische Anweisungen erlassen, die den genannten Entwicklungen Rechnung tragen. Diese neuen Anweisungen sollen die Bestimmungen der Satzung und der Verfahrensordnung nicht ersetzen. Sie sollen es den Parteien und ihren Vertretern ermöglichen, die Tragweite dieser Bestimmungen besser zu verstehen und den Ablauf des Verfahrens vor dem Gerichtshof genauer zu erfassen. Von der Beachtung dieser Anweisung setzt die EU darauf, dass die Behandlung der Rechtssachen vor dem EuGH gefördert wird.

Veranstaltungshinweis: Quo vadis Legal Tech? – DAV

Gemeinsam mit dem Schweizerischen Anwaltsverband richtet der DAV Belgien am 19. März 2020 eine Konferenz zum Thema „Legal Tech – der rechtliche Rahmen, Chancen für Rechtsanwälte und Kanzleien, Auswirkungen auf die Mandantschaft“ in Frankfurt aus. Das Tagesseminar wird von Praktikern für Praktiker angeboten und zeigt die Chancen von Legal Tech in der täglichen Arbeit von Rechtsanwälten, Mandanten und Kanzleien. Ausgehend von einer Diskussion über eine Notwendigkeit der Anpassung der gesetzlichen Rahmenbedingungen widmen sich der zweite und dritte Konferenzteil dann der Frage, welche Veränderungen Legal Tech für Kanzleien und für Rechtsabteilungen in Unternehmen mit sich bringen. Das Abschlusspanel diskutiert dann die Frage der zukünftigen Entwicklung von Legal Tech. Weitere Informationen zur Veranstaltung finden Sie hier.

„Der Verlierer zahlt“ in einem fairen Verfahren – EGMR

Wenn die Prozesskosten höher sind als der eingeklagte Schaden und die Gerichte die Erstattung verweigern, stellt dies eine Behinderung des Rechts des Antragstellers auf Zugang zum Gericht nach Art. 6 Abs. 1 EMRK dar, so der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR, Beschwerdenr. 73579/17, 14620/18). Zwei litauische Staatsbürger hatten erfolgreich gegen vom Staat gegen sie verhängte Geldbußen geklagt. Sie sahen sich aber nach dem inländischen Verfahren, in dem sie von Fachanwälten vertreten waren, mit Prozesskosten konfrontiert, die höher waren, als die Geldbußen und beriefen sich auf das im litauischen Verwaltungsrecht geltende Prinzip, dass „der Verlierer zahlt“. Die Erstattung von Prozesskosten in Verwaltungsverfahren könne zwar im Einzelfall im öffentlichen Interesse liegen, so der EGMR. Das Recht auf Zugang zu einem Gericht als inhärenter Aspekt des Rechts auf ein faires Verfahren aus Art. 6 EMRK dürfe jedoch nicht so weit eingeschränkt werden, dass es in seinem Wesen beeinträchtigt werde, sondern müsse effektiv gewährleistet werden. Die Beschwerdeführer hätten sich prozessökonomisch verhalten und hatten auch das Recht, sich von einem Anwalt, konkret von einem Fachanwalt, vertreten zu lassen. Der EGMR betont die Rolle der Anwaltschaft in der Rechtspflege und widerspricht der Argumentation Litauens, die Beschwerdeführer hätten sich von Anwälten in Ausbildung oder Nichtanwälten mit abgeschlossenem Jurastudium, die vor litauischen Verwaltungsgerichten ebenso vertretungsberechtigt sind, vertreten lassen können.

Stärkung des Schutzes von Menschenrechtsverteidigern – Rat

Anlässlich des 75. Jahrestags des Inkrafttretens der UN-Charta bekräftigte der Rat in seinen Schlussfolgerungen am Montag das Bekenntnis der EU zum Schutz der Menschenrechte als essentiellen Bestandteil der internationalen Rechtsordnung. Die aktive Verteidigung und Förderung des UN-Menschenrechtssystem wurde als eine der vorrangigen Prioritäten des außenpolitischen Handelns im Jahr 2020 unterstrichen. Alle verfügbaren Institutionen und Foren der Vereinten Nationen sollen genutzt werden, um den eigenen menschenrechtlichen Verpflichtungen nachzukommen und Menschenrechtsverletzungen weltweit zu verurteilen. Ein Schwerpunkt soll dabei auch auf die Unterstützung von Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidigern sowie Organisationen der Zivilgesellschaft gelegt werden, in Anerkennung ihrer Arbeit in den Bereichen Landrechte, Umweltschutz, Rechte indigener Völker, Angehörigen von Minderheiten einschließlich LGBTI. Besonders betont wurde die herausragende Rolle, die Menschenrechtsverteidigerinnen bei der Bekämpfung der Ungleichheit zwischen den Geschlechtern spielen. Zudem will die EU auch den Zusammenhang zwischen Menschenrechten und Umwelt sowie die Auswirkungen digitaler Technologien auf Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit stärker in den Blick nehmen.

Post-Brexit: Eine einzigartige Partnerschaft soll es werden – EP/KOM

Nach der Vorstellung der Entwürfe des Verhandlungsmandats seitens der EU-Kommission für die zukünftigen Beziehungen zwischen der EU und Großbritannien am 3. Februar 2020 (s. EiÜ 5/20) hat sich auch das EU-Parlament mit der Entschließung vom 12. Februar 2020 zu der Ausgestaltung der zukünftigen Beziehungen nach der Übergangszeit geäußert (s. Pressemitteilung). Angestrebt werde ein auf drei Hauptsäulen beruhendes Abkommen mit Großbritannien: Wirtschaftspartnerschaft, Partnerschaft in auswärtigen Angelegenheiten, politikbereichsspezifische Angelegenheiten und thematische Zusammenarbeit. Das EU-Parlament folgt in seiner Entschließung im Wesentlichen den Vorschlägen der EU-Kommission. Im Bereich Dienstleistungen sollte der Marktzugang und die gegenseitigen Verpflichtungen mit dem Ziel eingegangen werden‚ den Handel mit Dienstleistungen weit über die WTO-Verpflichtungen hinaus zu liberalisieren, wobei auf den jüngsten Freihandelsabkommen der EU aufgebaut werden sollte. Das EU-Parlament spricht sich zudem für wirksame Vereinbarungen über die Zusammenarbeit bei der Strafverfolgung aus, betont aber, dass das Vereinigte Königreich etwa keinen direkten Zugang zu den Daten der EU-Informationssysteme haben kann. In ihrer Rede vor dem Plenum des EU-Parlaments sprach sich Kommissionspräsidentin von der Leyen erneut für faire Wettbewerbsbedingungen und ein möglichst umfassendes Abkommen aus.

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