Europa im Überblick, 8/2020

EiÜ 8/2020

Wettbewerbshindernisse im Dienstleistungssektor kritisiert – KOM

Die EU-Kommission bescheinigt Deutschland keinen Fortschritt  auf dem Gebiet der Unternehmensdienstleistungen und reglementierten Berufe. Dies geht aus dem jährlichen Länderbericht 2020 hervor, der am 26. Februar 2020 im Rahmen des Europäischen Semesters veröffentlicht wurde. Es seien keine Maßnahmen ergriffen worden, um den Wettbewerb im Bereich der Unternehmensdienstleistungen und der reglementierten Berufe im Jahr 2019 zu fördern. Die Stärkung des Wettbewerbs bei Unternehmensdienstleistungen und regulierten Berufen forderte die EU-Kommission schon in den letzten Länderberichten (s. EiÜ 9/19, 10/18). Die einzigen angekündigten Maßnahmen, so kritisiert der Länderbericht, umfassen gesetzliche Änderungen, um dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs über die Honorare für Architekten- und Ingenieurdienstleistungen zu entsprechen (s. EiÜ 27/19). Die Bundesregierung habe sogar konträr zu den Empfehlungen der EU-Kommission einen Gesetzentwurf vorgelegt, der den Wettbewerb weiter schwächen werde. Mit dem Gesetz zur Wiedereinführung der Meisterpflicht in zwölf Handwerksberufen wird eine Reform von 2004 sogar wieder zurückgenommen. Die EU-Mitgliedstaaten sind im Zyklus des Europäischen Semesters nun angehalten, nationale Programme auf Basis der Länderberichte aufzustellen. Auf dieser Grundlage finden dann ab April Gespräche über politische Strategien statt.

Justizbarometer 2020: Straf- und Verwaltungsjustiz im Fokus? – KOM

Die EU-Kommission hat eine Roadmap zum EU-Justizbarometer 2020 veröffentlicht, in der sie ihr Vorgehen für den diesjährigen achten Bericht über den Zustand der europäischen Justizsysteme darlegt. Der jährliche Bericht hilft den Mitgliedsstaaten, anhand einer Reihe von Indikatoren in Bezug auf die Unabhängigkeit, Qualität und Effizienz der nationalen Justizsysteme potenzielle Mängel, Verbesserungen und „best practices“ in nationalen Justizsystemen zu identifizieren. In ihrer Mitteilung zur Stärkung der Rechtsstaatlichkeit in der Union hatte die Kommission angekündigt, im Justizbarometer 2020 könnten die Bereiche der Straf- und Verwaltungsjustiz verstärkt beleuchtet werden. Im Rahmen des Europäischen Semesters kann das Justizbarometer dazu führen, dass die Kommission dem Rat vorschlägt, länderspezifische Empfehlungen zur Verbesserung der nationalen Justizsysteme zu verabschieden. In diesem Jahr wird das Justizbarometer erstmalig in den für den Beginn der deutschen Ratspräsidentschaft angekündigten jährlichen Rechtsstaatlichkeitsbericht der EU-Kommission einfließen. Rückmeldungen zu der Roadmap nimmt die Kommission bis zum 24. März 2020 entgegen.

Europa fit für KI: Initiativberichte angekündigt – EP

Am 11. Februar 2020 hielten die Berichterstatter des Rechtsausschusses des EU-Parlaments eine Pressekonferenz in Straßburg ab, um ihre bevorstehenden Initiativberichte über künstliche Intelligenz (KI) vorzustellen. Axel Voss (EVP, DE), Berichterstatter für den Legislativbericht über „die zivilrechtliche Haftung für künstliche Intelligenz“, stellte als Ziel des Berichts dar, einen Mechanismus vorzuschlagen, der das gesamte Spektrum der Risiken sowie der potenziellen Schäden abdecke, die durch den Einsatz von KI verursacht werden. Weitere Berichte beschäftigen sich mit einem Rahmen für die ethischen Aspekte von künstlicher Intelligenz, Robotik und damit zusammenhängenden Technologien, wo es dem Berichterstatter Ibán García del Blanco (S&D, Spanien) wichtig ist, dass die Privatsphäre nicht verletzt werde oder diskriminierende Algorithmen genutzt werden. Der Bericht von Stéphane Séjourné (Renew Europe, Frankreich)  beschäftigt sich mit den Rechten des geistigen Eigentums bei der Entwicklung von Technologien der künstlichen Intelligenz. Mit einem Initiativbericht legt ein parlamentarischer Ausschuss eine Entschließung zu einem Thema vor und regt so eine neue EU-Gesetzgebung an. Nach Annahme wird der Bericht an die EU-Kommission übermittelt, die verpflichtet ist, dem Parlament mitzuteilen, ob sie einen Gesetzesvorschlag vorlegen wird oder nicht.

Strafverfolgung mithilfe von KI: Chance oder Risiko? – EP

In seiner Anhörung zum Thema „Künstliche Intelligenz im Strafrecht und ihre Nutzung durch Polizei- und Justizbehörden“ vom 20. Februar 2020 hat der Ausschuss für Bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres des Europäischen Parlaments (LIBE) den Einsatz von KI-Systemen durch Polizei und Justiz zur Strafverfolgung kontrovers diskutiert (s. Programm). Bei Sprachverarbeitung sei die Nutzung von KI bereits gängig. Künftig solle KI auch bei der Bekämpfung von Finanzterrorismus verstärkt eingesetzt werden. Hinsichtlich der Nutzung von Gesichtserkennungssoftware wurden hingegen Grundrechtsrisiken betont. Die Datenqualität spiele hier eine entscheidende Rolle. Bislang gebe es das Problem der algorithmischen Voreingenommenheit sog. „bias“, d.h. dass KI-Systeme gegenüber ethnischen Minderheiten zu diskriminierenden Ergebnissen kommen. Rechenschaftspflicht und Transparenz seien daher wesentliche Anforderungen an die KI. Hierfür müsse auch der bisherige Rechtsrahmen angepasst werden, wie von der Kommission im Weißbuch für KI angekündigt (s. EiÜ 7/20).

IPR: Wer ist zuständig für die Vollstreckungsabwehrklage? – EuGH

Der Generalanwalt des EuGH Michal Bobek vertritt in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache C-41/19 die Meinung, dass sich die Zuständigkeit für eine Vollstreckungsabwehrklage nach der Zuständigkeit des Gerichts des Mitgliedsstaats richte, in dem die Zwangsvollstreckung beantragt wird. Das angerufene deutsche Gericht, das mit der Abwehrklage befasst war, hatte Zweifel über seine Zuständigkeit nach der EU-Unterhaltsverordnung Nr. 4/2009 (EU-UntVO) und fragte, ob es sich bei dem Vollstreckungsabwehrantrag gemäß § 767 ZPO gegen einen ausländischen Unterhaltstitel um eine Unterhaltssache handelt, oder um ein Verfahren nach der Verordnung Nr. 1215/2012. Im Ausgangsverfahren ist der Titel für die Vollstreckung von einem polnischen Gericht ausgestellt und in weiterer Folge in Deutschland mit einer Vollstreckbarerklärung versehen worden. Gegen die Vollstreckung wehrte sich der Unterhaltsverpflichtete mit einer Abwehrklage. Der Generalanwalt kommt zum Ergebnis, dass das deutsche Gericht nach der EU-UntVO zuständig ist, obwohl es sich nicht mehr um das Erkenntnisverfahren handle, sondern bereits die Phase der Vollstreckung. Dies ändere nichts am Gegenstand der weiter eine Unterhaltssache sei. Die EU-Unterhaltsverordnung enthalte nämlich in Kapitel IV besondere Vorschriften über die Anerkennung und Vollstreckung in Unterhaltssachen. Eine ergänzende Anwendung der Verordnung Nr. 1215/2012 sei problematisch, da Unterhaltspflichten ausdrücklich vom Anwendungsbereich ausgenommen seien. Die Schlussanträge sind für den EuGH nicht bindend, eine Entscheidung steht noch aus.

Unternehmen für Harmonisierung in der Lieferkette – KOM

Nur jedes dritte Unternehmen in der EU unterwirft seine globalen Lieferketten einer sorgfältigen Prüfung mit Blick auf Menschenrechte und Umweltauswirkungen. Dies folgt aus einer am 24. Februar 2020 veröffentlichten Studie (bisher nur in englischer Sprache), die Teil des Aktionsplans der EU-Kommission  für ein nachhaltiges Finanzwesen ist (s. EiÜ 5/20). Der Begriff  der Sorgfaltspflichten ist dabei weitgefasst zu verstehen;  Unternehmen sind angehalten sicherzustellen, dass durch Lieferanten „kein Schaden“ entstehe, wie z.B. durch das Einleiten von Abfallprodukten in Gewässer oder unter Nutzung von Kinderarbeit. Die Studie untersucht dabei neben den bestehenden Marktpraktiken auch die regulatorischen Rahmenbedingungen sowie mögliche Regulierungsoptionen.  Die Mehrheit der Studienteilnehmer ist der Meinung, dass die bisherigen freiwilligen Due Diligence Standards nicht ausreichend seien, um die Marktpraxis nachhaltig zu verändern. Auch aus Unternehmenssicht wären harmonisierte, verbindliche Regeln und eine damit einhergehende Rechtssicherheit von Vorteil. Die Studie spricht selbst keine Empfehlungen für die EU Kommission aus, enthält aber nichtdestotrotz die Schlussfolgerung, dass die aktuellen gesetzlichen Maßnahmen nicht ausreichend seien, um die Einhaltung von Due Diligence Standards zu gewährleisten. EU-Justizkommissar Reynders hat zudem schon angekündigt, dass die Ergebnisse der Studie gerade auch im Bereich der Klimaneutralität berücksichtigt werden sollen.

Abschiebehaft darf in gewöhnlichen Haftanstalten erfolgen – EuGH

Der Generalanwalt Priit Pikamäe vertritt in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache C-18/19 die Meinung, dass ein abzuschiebender Drittstaatsangehöriger, von dem eine tatsächliche, gegenwärtige und hinreichend schwere Gefährdung ausgeht, in einer gewöhnlichen Haftanstalt inhaftiert werden kann, solange er gesondert von den gewöhnlichen Strafgefangen untergebracht wird. Im Ausgangsverfahren hatten die deutschen Behörden die Abschiebung eines tunesischen Staatsangehörigen angeordnet, der als Schleuser und Rekrutierer für den IS eingestuft wurde. Dieser machte geltend, seine Abschiebehaft sei rechtswidrig gewesen, weil sie nicht in einer speziellen Abschiebungshafteinrichtung, sondern in einer allgemeinen Justizvollzugsanstalt erfolgt sei. Dem widersprach der Generalanwalt. Die Behörde hätte die von dem Abzuschiebenden ausgehende Gefährdung eingehend geprüft. Eine gesonderte Haft sei gerechtfertigt gewesen. Es sei zudem Sache der zuständigen nationalen Behörde, die Haftbedingungen genau zu prüfen, um sich zu vergewissern, dass sowohl die Grundsätze der Wirksamkeit und der Verhältnismäßigkeit als auch die in Art. 16 der Richtlinie 2008/115 vorgesehenen Mindestgarantien für Haftbedingungen sowie die in den Art. 1 bis 4, 6 und 47 der Grundrechtecharta verankerten Grundrechte des Drittstaatsangehörigen beachtet werden. Die Entscheidung des EuGH ist in wenigen Monaten zu erwarten.

Verhandlungsmandat der Kommission mit Großbritannien – Rat  

Der Rat der Europäischen Union hat am 25. Februar 2020 den Beschluss zur Aufnahme von Verhandlungen über eine neue Partnerschaft mit dem Vereinigten Königreich und die Verhandlungsrichtlinien für die verhandlungsführende EU-Kommission angenommen. Er folgte dabei im Wesentlichen den Empfehlungen der Kommission vom 3. Februar 2020 (wie zuvor bereits das EU-Parlament) (s. EiÜ 07/20, 05/20).  Im Rahmen des geänderten Verhandlungsmandates muss nun die spezielle Situation Irlands in einem weiteren Abkommen adressiert werden. Ebenso soll eine Verlängerung der Übergangsfrist weiterhin möglich sein. Im zukünftigen Abkommen soll auch vollständige Gegenseitigkeit und Nichtdiskriminierung bezüglich der Freizügigkeit von natürlichen Personen enthalten sein. Die Verpflichtung Großbritanniens, die Europäische Menschenrechtskonvention einzuhalten, wird als ein essentieller Aspekt der zukünftigen Beziehungen bewertet. Eine Voraussetzung für eine weitreichende Zusammenarbeit im Bereich der Strafverfolgung und in Strafsachen sind zudem EU-Äquivalenzentscheidungen in Hinblick auf Datenschutzstandards. Auch im Bereich des Familienrechtes sollten die EU und Großbritannien eine stärkere Kooperation in Erwägung ziehen, da Großbritannien nicht allen internationalen Abkommen beigetreten ist.

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